Liberty: Roman
dem engen Gang.
»Versuch mal, ob du mich dazu bringen kannst, Moses!«, ruft er und zieht mich mit sich durch die Dunkelheit, bis wir an dem Seitentunnel vorbei sind und Savio seine Taschenlampe wieder einschaltet, auf den Kompass schaut und sagt: »Komm, schnell jetzt. Wir müssen uns den Fund ansehen.«
»Warum?« Meine Sachen sind schweißdurchtränkt – ein Geruch nach Aas steigt von meinem Körper auf, das Zittern der Hände habe ich nicht mehr unter Kontrolle. An Savios Stimme höre ich, dass er lächelt.
»Die Ader ist nah an meiner Mine«, sagt er. »Ich weiß genau, wo wir sind.« Das ist nicht deine Mine, geht mir durch den Kopf; weder diese noch die andere. Aber ich habe das deutliche Gefühl, dass das vollkommen egal ist – seine Hand hält den Revolver: das Gesetz. Er wird sich von seinem eigenen Schacht zu dem Fund durchgraben. Aber das bedeutet … er wird diesen Schacht sprengen. Er kriecht rasch weiter. Der Tunnel wird schmaler und endet plötzlich an einem Haufen Schlacke. Ich hatte eine Öffnung erwartet, einen größeren Raum. Savio leuchtet die unförmigen Wände ab, den Boden, die Decke. Ich sehe das matte, glasartige Kristall, das stumpf um uns herum glänzt. Es ist ganz still. Was? Das konstante Zischen des Plastikschlauchs hat aufgehört. Jemand muss den Kompressor abgestellt haben. »Jetzt hat der Generator keinen Diesel mehr«, stellt Savio fest, bückt sich, wühlt mit den Händen in der Schlacke, stopft ein paar Steine in die Tasche. Er hustet Schleim, spuckt. »Der Sauerstoff ist bald verbraucht. Wir müssen los.«
»Was ist mit den anderen Männern?«
Savio lächelt. »Moses, der gerufen hat, ist ein harter Hund. Los jetzt.« Savio rennt vorgebeugt den Minengang zurück. Er hat gesehen, was er wollte. Schweigend folge ich ihm, spüre den Kloß im Hals. Der Weg scheint sehr viel länger zu sein. Ich bin außer Atem. Es ist stockfinster, weil Savio einen Teil des Lichtkegels seiner Taschenlampe mit der Hand abschirmt. Wieso macht er das? Ich habe nicht genügend Luft, um ihn zu fragen. Meine Hände schmerzen, meine Knie, die Ellenbogen, mein Kopf stößt an die Decke, ich spüre etwas Warmes in meinen Haaren. Blut. Savio bleibt stehen, ich stoße fast mit ihm zusammen.
»Psst«, zischt er und schaltet die Lampe ganz aus, findet meinen Hals mit seiner Hand und zieht mich an sich. Spricht mir leise ins Ohr: »Du rennst jetzt an dem Seitentunnel vorbei, ich komme direkt hinter dir.« Er gibt mir einen Stoß. Ich laufe. POW – ein Schuss. Das Geräusch ist lähmend komprimiert in dem niedrigen Stollen. Ich werfe mich flach auf den Boden – bin an dem Seitentunnel vorbei. Wurde ich getroffen? Nein. Undeutlich höre ich eine Bewegung hinter mir. Ich drehe den Kopf. PAW-PAW … PAW . Der Lichtblitz der Mündung erleuchtet Savio, der die Hand mit dem Revolver um die Ecke geschoben hat und in den Seitenstollen schießt. Sobald der Revolver verstummt, herrscht wieder absolute Dunkelheit. Ein Scharren. Savio wirft sich nach vorn. PAW-PAW-PAW-PAW – die Schüsse kommen aus dem Seitentunnel.
» AHHHRRRGG !«, brüllt Savio, als er direkt neben mich fällt. »Fuck!« Ich kann nichts sehen. Er schleppt sich weiter, ich folge ihm. Er schaltet die Taschenlampe ein. Sein Hosenbein ist nass vor Blut. »Hier«, sagt er und gibt mir den Revolver. »Wenn du etwas hörst, schieß!« Savio zieht sich hastig das Hemd aus, steckt die Taschenlampe in den Mund, reißt das Hemd kaputt und bindet sich ein Stück fest um den Oberschenkel. Sein behaarter Bauch wölbt sich über dem Hosenbund, aber nichts an ihm wirkt schwer. »Den Revolver«, befiehlt er. Ich gebe ihn zurück. »Du kriechst zuerst, schnell!« Er schießt hinter sich. Die Taschenlampe ist jetzt ausgeschaltet, man soll uns von hinten nicht sehen können. Ich höre Savio vor Schmerz aufstöhnen. Krieche weiter, meine Handflächen sind aufgescheuert, der Stollen macht eine Biegung, hinter mir ist Licht. Savio hat die Lampe wieder angeschaltet, weil die Biegung uns vor Schüssen schützt. »Stopp!«, sagt er. Ich bleibe liegen, er kriecht zu mir. »Du leuchtest.« Er gibt mir die Lampe. Ich sehe, dass der Revolver wieder im Schulterholster steckt. Sofort bewegt er sich wieder vorwärts. Mein Kopf fühlt sich leicht an. Vielleicht bin ich kurz davor, ohnmächtig zu werden, weil der Sauerstoffgehalt in der Luft so dünn ist. Wir erreichen den Gelähmten – Shirazi –, er ist wieder bei Bewusstsein. Savio bleibt bei ihm stehen, zieht den
Weitere Kostenlose Bücher