Liberty: Roman
Revolver, platziert die Mündung auf den Hinterkopf des Mannes. Savio spricht zu ihm.
»Ich erschieße dich, weil du lahm bist, Shirazi. Gute Reise«, sagt er und drückt ab.
» AAHHHRRRIII !« Der Schrei entfährt meiner Kehle. Unfreiwillig. Ich muss mich übergeben. Savio kriecht weiter, ich halte die Taschenlampe in der Hand und kann es nicht lassen, ich muss darauf leuchten, als ich mich an die Stollenwand presse, um an dem explodierten Schädel vorbeizukommen, weg. Endlich erreichen wir mamas bizarre Leiche, die Luft wird besser. Die Leiter. Savio steigt in einem gleichmäßigen Tempo hinauf; sein verletztes Bein hängt frei, während er die Hände auf die Sprossen legt und sich mit einem dumpfen Stöhnen hochzieht, bis er sein gesundes Bein auf die Sprosse stellen und mit den Händen die nächste erreichen kann. Rhythmisch stöhnend, nach oben. Im flackernden Schein der Taschenlampe glänzt Savios Rücken vor nassem Schweiß. Die Tropfen treffen mich, Tränen steigen in mir auf, Milchsäure sammelt sich in den Muskeln. Unter uns … ich bin wie gelähmt … Savio hat daran gedacht: Der Mann, der geschossen hat, er kann zum Schacht kommen, er kann uns hinterherklettern, hinaufschießen – ich werde dann die Kugel abbekommen. Savio hat an einem kleinen Absatz angehalten.
»Gib mir die Taschenlampe und kletter weiter«, sagt er. Er steckt die Lampe in den Mund. Ich klettere auf der Leiter schnell an ihm vorbei, nach oben. Savio schießt hinunter, einen Schuss. Hat er mehr? Ich klettere, denke nur an die nächste Sprosse. Und die nächste. Die nächste. Wenn ich nach oben blicke, sehe ich nur die Leiter, die Dunkelheit und die unförmigen Wände des Schachts im Schein von Savios Taschenlampe. Stufe für Stufe. Hinauf zur Welt. Meiner Welt. Schließlich sehe ich einen helleren Fleck über mir. Schweiß läuft mir in die Augen, den Hals hinunter, über die Rippen. Ein Fuß rutscht ab, baumelt ohne festen Halt, die Handflächen gleiten feucht über die glatt getretenen Sprossen, zu viel Schweiß. Ich presse den baumelnden Fuß an die Wand des Schachts und lasse die Sprosse los, um die Sprosse unter mir zu fassen zu bekommen. Hänge, bis ich spüre, dass ich bald einen Krampf im Arm bekommen werde – versuche, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Halte mich mit dem Arm fest, noch immer einen Fuß auf der Sprosse. Führe die andere Hand hinunter, bis sie beide dieselbe Sprosse umfassen. Nehme langsam den Fuß von der Wand, bis er zurück zur Sprosse und dem anderen Fuß findet. Erhole mich einen Moment. Wische mir die Handflächen nacheinander gründlich an der feuchten Hose ab. Um mich herum flackert das Licht der Taschenlampe.
»Weiter!«, ruft Savio unter mir. Ich klettere automatisch, ein Arm, ein Bein, nach oben. Schließlich bin ich draußen und kann auf Händen und Füßen die letzten Meter kriechen, an denen der Schacht mit großen unförmigen Stufen beginnt. Savio lacht leise, als er an mir vorbeihumpelt. Ich rolle mich auf den Rücken. Atme schwer. Die Luft ist fantastisch. Starre an dem Halbdach vorbei auf die Sterne. Die Sterne. Den Himmel. Die Welt. Rückwärts krieche ich ein paar Meter weg von dem Loch, bevor ich mich aufsetze – ich habe eine absurde Angst, das Loch könnte mich aufsaugen, hinein in die Dunkelheit. Ich sehe mich fieberhaft nach Savio um. Ein Geräusch aus dem Schacht bringt mich dazu, mich flach auf den Boden zu werfen. Ich schaue auf die Öffnung, ahne eine Bewegung, einen dunkleren Fleck in der Nacht, dann ist es vorbei. Savio kommt zurück, bleibt stehen und hantiert mit irgendwelchen Gegenständen. Sprengstoff. Wenn er hinaufkommt, kann er uns töten – der Mann, der Moses heißt. Was kann ich tun? Vielleicht ist alles nur eine Sinnestäuschung? Vielleicht hat er gar keine Munition mehr. Ich stehe vorsichtig auf.
»Sollen wir den, den du erschossen hast, hinunterwerfen, bevor du sprengst?«, frage ich. Merkwürdig nüchtern jetzt. Mamas Stellvertreter liegt noch immer auf dem Platz und atmet mit gurgelnden Geräuschen.
»Die Leute sollen sehen, wie er stirbt«, erwidert Savio. »Geh zum Wagen.« Ich bewege mich langsam, die Glieder sind steif vor Milchsäure. Beine aus zähem, feuchten Holz.
Conte hat bei mamas Land Rover die Motorhaube geöffnet, um ihn anzulassen. Vor dem Zaun Geräusche.
»Verschwindet von hier!«, wird auf Swahili gerufen. Conte schaut mich an, als ich auf den Wagen zugehe.
»Sie haben keine Angst mehr«, sagt er. »Jetzt wollen sie uns töten,
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