Liberty: Roman
Dieb«, halte ich ihm vor. Er steht mit geballten Fäusten auf.
»Du bist der Dieb«, erwidert er. »In meinem Land.« Ein Arm streift mich. Ich weiche zurück, der Stuhl schrammt über den Betonboden; ich entgehe der Faust, springe auf. Er kommt um den Couchtisch herum, seine Arme bewegen sich wie Windmühlenflügel, treffen mich am Schädel, an den Schultern, an der Brust, aber ohne richtige Kraft. Ich tauche mit dem Kopf ab, probiere einen langen Ausfallschritt unter den wirbelnden Schlägen hindurch und versetze ihm einen Schlag in die Magenkuhle. Und noch einen. Er krümmt sich zusammen.
»Du schuldest mir Geld«, sage ich, drehe mich um und gehe.
Eine Woche später stirbt Khalid am Berg. Er und zwei Europäer. Schlechtes Wetter. Und ich empfinde eine Scheißschuld. War ich zu hart – hätte ich ihn zurückholen sollen?
Ich treffe Marcus auf der Straße.
»Wie ich höre, schickst du deine Leute jetzt auf den Berg, damit sie dort sterben können. Das macht keine gute Stimmung«, sagt er.
»Er hat mich bestohlen.«
»Ja, natürlich. Er hat ein übles Leben in Swahilitown geführt, während du in einem Haus mit Hausmädchen, Wachmann und Motorrad wohnst und nachts ein Mädchen hast, das dich wärmt. Außerdem bezahlst du immer zu wenig.«
Marcus
DIE KRANKHEIT
Dickson ist krank geworden , ständig muss er scheißen und kotzen – er hat sich sogar erkältet. Er hat fast um die Hälfte abgenommen. Dicksons Schwester ist gekommen und pflegt ihn zu Hause. Sie sitzt auf der Veranda.
»Geht’s ihm besser?«, frage ich von meinem Garten aus.
»Hexerei«, sagt sie. »Schlechte Menschen haben Dickson mit dem bösen Blick bedacht, weil er Erfolg hat und schlimm war mit den Frauen anderer Männer.«
Aber das ist kein böser Blick, das ist reine Hysterie, Aberglaube, zu ausschweifende Fantasie; ein Schutz vor der Wahrheit.
»Was sagt der Arzt?«
»Das KCMC kann nicht herausfinden, was es ist. Wir haben ein Vermögen bezahlt für alle möglichen Untersuchungen.«
Claire hat die Unterhaltung gehört. Als ich hereinkomme, hat sie große Angst. »Glaubst du, es ist … die Krankheit?«, fragt sie. Die Krankheit heißt HIV /Aids – und niemand versteht sie. Es gibt nur wenige Informationen. Alle wissen nur, dass man ein dünner Mann wird und stirbt, wenn man eine Kranke gepumpt hat. Leute mit Geld schicken ihre kranken Familienmitglieder ins KCMC , wo sie jetzt ein riesiges Sterbezimmer haben. Wer kein Geld hat, versteckt die Kranken im Haus und lügt, wenn es um die Ursache geht. Es ist sehr beschämend, wenn die Wahrheit bekannt wird.
»Ich weiß nicht, was Dickson fehlt«, sage ich.
»Wenn das KCMC nichts herausfindet … das ist wie bei der kleinen Rebekka.«
»Ja, wenn die Ärzte den Fehler nicht erkennen können, weiß man nicht, was los ist.«
»Vielleicht ist es ja die Krankheit. Vielleicht war es auch die Krankheit bei der kleinen Rebekka, denn damals war sie so gut wie unbekannt bei allen Ärzten und Menschen.«
»Wenn es die Krankheit ist – HIV oder Aids –, dann kennen die Ärzte sie heute gut. Obwohl sie ihn nicht heilen können, können sie doch herausfinden, ob Dickson sie hat. Sie könnten sagen, ja, das ist es. Aber wenn sie nichts finden können, dann ist es nicht die Krankheit.« Eeehhh , Claire macht mir wahnsinnige Angst – ich könnte kotzen. Ja, die kleine Rebekka war auch dünn, nur Haut und Knochen. Und Claire ist dünn, weil sie der europäischen Mode nacheifert und zu wenig isst. Und ich bin dünn, weil mir der Magen und der Darm fehlen. Wir können blitzschnell sterben. Ich habe von der Krankheit im Economist gelesen, den ich in der Stadt gekauft habe. Sie kommt direkt durch die Pumpe, wenn man sie in eine kranke Papaya steckt. Und wenn man sie hat, steckt man alle Partner damit an.
Claire kann nachts nicht schlafen.
»Vielleicht will das Baby deshalb nicht in meinem Bauch bleiben«, sagt sie. »Vielleicht tragen wir die Krankheit in unserem Blut.«
»Nein«, sage ich. »Du hast Doktor Strangler doch gehört, das Babyproblem liegt an den Batik-Chemikalien.«
»Aber er hat uns nicht untersucht«, sagt Claire. »Es war nur eine Vermutung. Du weißt, dass es durchaus die Krankheit sein könnte.« Eeehhh – sie könnte es ebenso gut direkt aussprechen: »Du, Marcus, hast andere Frauen gepumpt, als wir zusammen waren. Vielleicht hast du dir die Krankheit ins Blut geholt und an mich weitergegeben.«
Wir sehen Dickson in Decken gewickelt auf seiner Veranda – er kann nicht mehr
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