Liberty: Roman
arbeitet in Schweden als Journalist. Er ist hier, um Zeitungsartikel über Jonas zu schreiben, der für schwedische Entwicklungshilfegelder Sägewerksarbeiter ausbildet. Andreas beugt sich zu Vera und spricht leise mit ihr. Sie kichert, dass die Brüste unter ihrem Kleid hüpfen. Ich werfe ihnen einen verstohlenen Blick zu. Nachdem wir gegessen haben, sitzen die Erwachsenen da und trinken. Ich gehe ins Zimmer, um Ian Fleming zu lesen. An der Art, wie sie lachen, höre ich, dass sie allmählich betrunken werden. Andreas wird laut, Vera lacht. Ich schlafe ein, bevor der Alte kommt.
Es ist bereits Vormittag, als ich aufwache. Heute wollen wir zurück nach Moshi und zur TPC fahren. Ich gehe ins Restaurant.
»Du Schwein«, höre ich Veras Stimme, als ich auf die Veranda trete, sie rennt mit Tränen in den Augen an mir vorbei. Ich sehe ihr nach und gehe hinein, dort sitzen Jonas, Andreas und Vater. Jonas schaut teilnahmslos in die Luft.
»Du hättest ruhig ein bisschen netter mit ihr reden können«, sagt Vater zu Andreas.
»Wir waren doch lediglich im Bett ein Paar«, entgegnet Andreas. Als wir fahren wollen, kommt Vera zu unserem Auto.
»Kann ich bei euch mitfahren?«
»Ja, selbstverständlich«, sagt Vater. Der Land Rover hat keinen Rücksitz, aber drei Sitze vorn – ich muss den Schaltknüppel zwischen die Beine nehmen. Die Feldwege sind voller Schlaglöcher, und der Wagen schaukelt, die Sitzposition ist unpraktisch, wenn ständig hoch- oder runtergeschaltet werden muss. Außerdem gibt es keine ordentlichen Sicherheitsgurte, die ganze Zeit über rempele ich erst Vater und dann Vera an.
»Setz dich hier drauf«, sagt Vera und zieht mich auf ihren Schoß, damit Vater besser fahren kann. Sie zieht die Nase hoch, sagt: »Wieso war er mir gegenüber so hässlich?«
»Ich weiß es nicht«, erwidert Vater. »Es war dumm.«
»Ja, ich versteh’s nicht …«, beginnt Vera, hält dann aber inne, schnieft und reißt sich zusammen. »Christian soll so etwas nicht hören – er würde es nicht verstehen.«
»Na ja, ich glaube ja, er versteht mehr, als ich mir vorstellen mag«, sagt Vater. Ich sage nichts.
»Vielleicht«, meint Vera und zieht mich näher an sich heran. Ihre kräftigen weichen Oberschenkel unter meinen nackten Beinen – nur der dünne Stoff des Kleides ist dazwischen. Vera beugt sich vor – und versucht, mir ins Gesicht zu sehen. Ich bin dreizehn Jahre alt. Wie stellt sie sich meine Gefühle vor?
»Ich will ihn doch nicht heiraten«, sagt sie. »Wir hatten eine gute Zeit, und dann auf einmal …« Sie schüttelt den Kopf, wischt sich die Augen mit einer raschen, leicht unwilligen Handbewegung. »Plötzlich behandelt er mich, als wäre ich irgendeine Nutte. Was meinst du, wieso tut er das?«
»Du weißt doch – skandinavische Männer: Sie haben Angst, ihre Gefühle zu zeigen«, antwortet Vater. Vera streichelt mir übers Haar. Die Hitze ihrer Schenkel überträgt sich auf mich. Ich habe Angst, dass sie meine Erektion bemerkt.
»Nicht nur den skandinavischen«, sagt Vera.
»Was?«, fragt Vater.
»Männern. Fällt es schwer, ihre Gefühle zu zeigen.«
»Tja, das ist wohl so«, sagt Vater.
»Und warum?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich will behandelt werden wie ein Mensch«, erklärt Vera. Mein Vater nickt. Ich spüre die Hitze zwischen unseren Schenkeln. »Ich bin ein Mensch«, sagt sie. Ja, bist du. Und ich auch.
Marcus
GEHIRNE
Ich bin sehr verwirrt über mein Leben bei diesen wazungu , aber das Wichtigste funktioniert – Katriina bezahlt mein Schulgeld, so dass ich lernen kann.
Aber die Schule ist auch schwierig: Kakishorts und weißes Hemd, ordentlich sprechen, still sitzen. Wenn du im Unterricht lärmst, lernst du den Stock kennen. Hör genau zu, dem Lehrer ist es so gut wie egal, ob du irgendetwas verstehst, denn der Lohn ist niedrig.
Die Kibo Secondary School ist völlig heruntergekommen, und dennoch kostet es Geld, sie zu besuchen; in Tansania sind nur die Grundschulen umsonst. Die Tafel in unserem Klassenzimmer ist so abgenutzt, dass niemand die Kreidestriche, die der Lehrer schreibt, erkennen kann. Wie sollen wir etwas lernen?
In der Schule kannst du dir ein gutes Gehirn kaufen. Wenn deine Eltern dem Lehrer ein Geschenk geben, werden deine Noten in den Himmel schießen, selbst wenn dein Kopf ein Stein ist. Aber ohne Geld sind die Noten schlecht, auch wenn das Gehirn gut ist. Du bist die Kuh und der Lehrer der Stock. Edson ist der einzige Arme, der keine Schläge bekommt. Er hat ein
Weitere Kostenlose Bücher