Liberty: Roman
wachsen. In der Stadt erzählt mir Phantom, Asko hätte ein Haus an der Uru Road gemietet; dort hat er Chantelle untergebracht, damit er sie besuchen kann, wann immer er Lust hat.
Der Wahnsinn macht auch vor dem Gegenteil nicht halt. Ich treffe Christian in der Stadt. Er ist sehr still, ich nehme ihn mit nach Hause.
»Ich hätte gern einen Kaffee«, sagt er, und wir gehen in die Küche. Katriina kommt, weil sie uns gehört hat.
»Oh, hej, Christian«, sagt sie.
»Hej«, sagt er, aber ohne aufzuschauen. Und nun ist Katriina still. Ich gebe Christian die Tasse Kaffee, und sofort gräbt er in der Hosentasche und zündet sich eine Zigarette an. Katriina sagt nichts dazu. Sie fragt nicht nach seinen Eltern. Christian gegenüber wird geschwiegen, aber wenn von der Knudsen-Familie niemand in der Nähe ist, geht es bei den anderen wazungu zu wie im Bienenschwarm: Denn Léon Wauters pumpt mama Knudsen in Mama Friends Guesthouse in Soweto, während bwana Knudsen auf der TPC in einer Flasche Gin wohnt.
DIE SCHWEDISCHLEHRERIN
Rebekka bringt mir perfektes Schwedisch bei – ich lerne es von Anfang an zusammen mit ihr. Ich trage sie auf meinen Armen herum, seit sie geboren wurde. Wenn die Larssons abends zu Hause sind, gehe ich in mein Zimmer, dann habe ich frei. Jonas will mich nicht sehen.
»Schlaf bei Marcus«, höre ich vom Haus und schaue aus dem Fenster. Sie kämpft sich die Küchentreppe hinunter und stapft mit ihrem Windelhintern über den Rasen; und Katriina steht in der Küchentür und ruft mir zu, Rebekka sei unterwegs. Sie liegt in meinem Bett und plappert, bis sie zu Burning Spear im Kassettenrekorder einschläft. Später am Abend kommt Jonas und holt sie, wenn sie schläft. Er sagt höchstens »Hallo«, bevor er sie hochhebt und ihr auf Schwedisch zuflüstert, dass sie nun in ihr eigenes Bett muss.
»Warum du nicht Schule?«, fragt sie auf Baby-Swahili, wenn ich zu Hause bleibe.
»Das Geld für die Schule wurde nicht bezahlt«, sage ich, obwohl ich weiß, dass Tante Elna Geld für mein gesamtes Schuljahr geschickt hat. Dann geht Rebekka ins Haus und sagt, ich könne nicht zur Schule gehen, weil das Geld nicht bezahlt wurde, und es schade wäre, weil ich gern zur Schule gehen würde. Als sie abends zu mir hinunterstolpert, um bei mir zu schlafen, gibt sie mir einen Umschlag und sagt: »Das Geld für Schule.« Dann rollt sie sich auf meinem Kopfkissen zusammen, und ich frage sie, ob ich leiser stellen soll.
»Ein bisschen.« Ich erzähle ihr, Stevie Wonder sei blind, könne aber trotzdem spielen – denn ich überspiele eine Kassette mit Hotter than July, und Stevie singt: »Though the world’s full of problems, they couldn’t touch us even if they tried«, aber sie schläft bereits. Ich nehme lange auf und schreibe die Songtitel auf die Pappen der Kassetten – so verdiene ich ein bisschen Geld. Und schließlich – spät – kommt Jonas und fragt, ob sie schläft, und ich sage: »Ja, schon lange.«
Christian
»Was ist los?«, erkundige ich mich bei Nanna, denn sie benimmt sich zurzeit wirklich eigenartig. Aber zumindest geht sie heute neben mir, als wir vom TPC -Bus nach Hause unterwegs sind. Vielleicht liegt es daran, dass sie bald nach Dänemark ziehen werden. Sie fragt die ganze Zeit, ob ich »okay« bin?
»Ja, warum auch nicht?«
»Na ja, ich dachte nur …«
»Was hast du gedacht?«
»Mit deinen Eltern …«
»Was ist mit meinen Eltern?«
»Na ja, aber …«
»Na los, aber was?«
»Es ist nur … Es heißt, dass … Also, dass deine Mutter nie zu Hause ist. Dass sie … ständig in der Stadt ist.«
»Darf sie denn nicht in der Stadt sein?«, frage ich.
»Weiß ich nicht. Ich habe nur gehört, wie meine Eltern darüber redeten. Aber sie haben den Mund gehalten, als sie mich bemerkten. Ich muss jetzt gehen.« Sie geht ins Haus und schließt die Tür hinter sich.
Es stimmt. Mutter fährt ständig in die Stadt. Auch an Tagen, an denen sie keinen muttersprachlichen Unterricht in der Schule hat.
»Ich muss in die Stadt, Besorgungen machen«, erklärt sie und kehrt erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit zurück. »Ich habe in der ganzen Stadt gesucht«, verkündet sie ein wenig hektisch. »Aber es war kein Toilettenpapier aufzutreiben.« Vater grunzt nur, starrt auf seinen Teller, ohne wirklich etwas zu essen, und geht jeden Abend zum Biertrinken in die Messe. Dann fährt er auf Geschäftsreise nach Dar.
In der Schule kommt Nanna auf mich zu.
»Ist deine Mutter krank?«
»Nein, wieso?«
»Na
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