Liberty: Roman
ja, weil der muttersprachliche Unterricht die letzten beiden Male ausgefallen ist.«
»Ich weiß nicht, warum«, sage ich. Nach dem Unterricht werden wir vom TPC -Bus abgeholt – Nanna fährt auch mit, weil der Dänischunterricht abgesagt wurde.
»Kannst du deine Mutter fragen, ob sie das nächste Mal kommt?«, fragt Nanna vor unserer Einfahrt.
»Klar«, sage ich. In der Einfahrt steht ein fremder Land Rover, und Léon Wauters von der Simba Farm sitzt mit Mutter auf der Veranda. Sie trinken Bier.
»Ja, Léon kam gerade mit etwas Roggenmehl vorbei. Und Blumen«, sagt Mutter und lächelt. Mitten auf dem Esstisch steht ein Riesenstrauß Blumen in einer Vase. »Ach ja, wenn du etwas essen möchtest, musst du es dir selbst machen«, erklärt sie hastig. »Ich habe dem Hausmädchen freigegeben.«
»Wieso denn?«
»Sie muss hin und wieder auch mal einen freien Tag haben«, erwidert Mutter. Ich nehme mir etwas Brot und Aufschnitt. Wie durch eine Eingebung schaue ich ins Schlafzimmer der Alten. Es sieht völlig normal aus – das Bett ist gemacht.
Ich spiele Fußball. Als ich wieder nach Hause komme, ist Léons Rover verschwunden, aber Vater ist zurück; ich höre, wie sie sich streiten. Ich will heranschleichen, um zu lauschen, aber Vater bemerkt mich. »Christian«, sagt er, im Wohnzimmer. Ich gehe hinein, und sie verschwinden in ihren Zimmern – dem Gästezimmer und dem Schlafzimmer.
»Wieso geht ihr?«
»Wir haben ein paar … Probleme«, erklärt Vater.
»Hat es etwas mit mir zu tun?«, rufe ich ihnen nach.
»Nein«, sagt er, und ich höre, wie sie die Türen hinter sich schließen. Ich setze mich ins Wohnzimmer.
Vater muss zu einer dreitägigen Besprechung mit dem Ministerium nach Dar. Die vorläufige Übertragung von Schlüsselpositionen in der TPC an die lokalen Angestellten soll beurteilt werden. Die Produktion fällt, der Schwund steigt. »Die TPC fällt in ein schwarzes Loch«, wie Vater es ausdrückt.
Ich komme aus der Schule, und Léon sitzt mit Mutter auf der Veranda.
»Wir wollen Golf spielen«, sagt sie. »Aber es ist noch zu heiß.«
Hat der Mann nichts zu tun – ein paar Blumen, die gepflückt werden müssen? Wenn er ausgerechnet um die Mittagszeit kommt, ist es doch einleuchtend, dass es noch Stunden dauert, bevor man Golf spielen kann, ohne gebraten zu werden.
Ich gehe ins Haus. Sie hat Irene schon wieder freigegeben. Ich mache mir etwas zu essen. Eine leere Zigarettenschachtel steckt in meiner Tasche, daher öffne ich den Deckel des Abfalleimers und hebe die oberste Schicht Müll an, um sie darunter zu verstecken. Ein Kondom. Da liegt ein Kondom. Natürlich könnte es eins sein, das mein Vater benutzt hat, denke ich. Aber er ist seit zwei Tagen nicht zu Hause gewesen – und der Abfalleimer wird täglich geleert, damit er in der Hitze nicht zu stinken anfängt. So ein … Verflucht. Wenigstens ist sie nicht so verrückt, dass sie versucht, ein Kind mit ihm zu zeugen. Ich höre, wie sie zur Golfbahn gehen. Ich laufe ins Schlafzimmer und schaue mir das Doppelbett an. Perfekt gemacht. Aber sie schläft im Gästezimmer. Ich öffne die Tür. Ja, das Bett ist auch gemacht, aber nicht so perfekt wie von Irene. Die Tagesdecke scheint eher nachlässig am Kopfende befestigt zu sein – nicht militärisch stramm gezogen und in den Rahmen gesteckt wie gewöhnlich. Pfui Teufel. Ich verlasse das Zimmer. Überlege, zu Nanna zu gehen, aber was soll ich dort? Mir wird klar, dass sie es längst wusste, aber nicht gewagt hat, es mir zu erzählen. Dann haben … alle wissen es – auch auf der Schule. Ich laufe an der Fabrik vorbei, in Richtung Moshi. Erwische eine Mitfahrgelegenheit in einem Dieseltankwagen. Besuche Marcus.
»Meine Mutter fickt mit diesem Blumenfarmer vom West-Kilimandscharo.«
» Tsk «, schnalzt Marcus – er scheint nicht überrascht zu sein. Alle wussten es. Wir reden nicht darüber. Katriina hat gesehen, dass ich gekommen bin. Kurz bevor es dunkel wird, kommt sie in Marcus’ Ghetto.
»Deine Mutter sucht dich«, sagt Katriina.
»Ah ja?«
»Marcus, du musst Christian nach Hause fahren.«
»Okay«, erwidert Marcus. Ich zucke die Achseln. Wir fahren. Mutter ist wütend.
»Du kannst doch nicht einfach so verschwinden!«, schreit sie.
»Ich will nicht mir dir reden.«
»Du hast mit mir zu reden. Ich bin deine Mutter!«
»Und?«
»Und du hast zu tun, was ich dir sage.«
»Ach ja«, gebe ich zur Antwort. »Und ich muss mir wohl auch ständig anhören, was du so
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