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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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sanft köchelnde Bouillabaisse aus Partikeln. Sie schimmerten vor lauter Navigationsfeldern, Verteidigungsschilden, Feldern zur Zielerfassung und Waffensteuerung, Felder, die alles von Röntgenstrahlen bis Laserlicht ausspien. Der hiesige Raum neigte zu Spiegelungen, Geisterbildern und Verzerrungen. Sie stöberten und spürten, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Ed meinte das feindselige Pochen der Maschinen zu hören.
    Krieg!, dachte er.
    Die Perfect Low bekam Durchflugerlaubnis und schob sich zwischen ihnen aus dem Orbit.

 
28
     
In allem sind Funken
     
    Nach dem Disput mit Anna zog Michael Kearney sich an und fuhr mit dem Mietauto in die Innenstadt von Boston, wo er sich das eine oder andere Bier genehmigte und kurz vor Toresschluss bei Burger King vorsprach. Anschließend raste er vorsätzlich die Küstenstraße auf und ab, schoss durch dichte weiße Nebelbänke und vertilgte seinen doppelten Cheeseburger mit Speck und Pommes frites. Der Ozean, wenn er zu sehen war, war ein Silberstreifen weit draußen. Die Dünen am Südende der Bucht hoben sich schwarz davon ab. Selbst bei Dunkelheit gackerten Seevögel am Strand. Kearney parkte, stellte den Motor ab und lauschte dem Wind, der mit dem Gras spielte. Er stieg durch die Dünen hinunter, stand auf dem feuchten Sand und stocherte mit der Schuhspitze in den Strandkieseln, die die Flut nach Größe sortiert hatte. Einen Herzschlag später war ihm, als fege etwas Riesiges quer über die Bucht auf ihn zu. Das Monster kehrte an seinen Strand zurück. Vielleicht nicht das Monster selbst, sondern das, was dahinter steckte, eine Besonderheit der Welt, des Universums, der Dinge an sich, die finster ist, verräterisch und eine Erleichterung am Ende – etwas, das man nicht wissen will, aber wider Willen froh ist, bestätigt zu sehen. Es kam direkt aus östlicher Richtung, geradewegs vom Horizont. Es fuhr an ihm vorbei, vielleicht auch in ihn hinein. Er fror und kehrte dem Strand den Rücken, stapfte über die Dünen zum Wagen zurück und erinnerte sich an die Frau, die er in den britischen Midlands getötet hatte, wo man unter einem Spielchen am Esstisch verstanden hatte, einander mit der Frage zu konfrontieren:
    »Wie, glauben Sie, werden Sie die erste Minute des neuen Millenniums verbringen?«
    Er hatte eigentlich nicht sagen wollen, was er gesagt hatte. Er hätte am liebsten auch so etwas Salonfähiges und Optimistisches gesagt wie die anderen. Diese Erinnerung machte ihm deutlich, wie er zum Außenseiter geworden war. Er war seine eigene Provokation. Auf der Heimfahrt ließ er das Seitenfenster herunterschnurren und pfefferte die Fastfood-Verpackung in die Nacht hinaus.
     
    Als er heimkam, war es still im Haus.
    »Anna?«, rief er.
    Er fand sie im Vorderzimmer am Kamin. Der Fernseher lief, der Ton war leise gestellt. Anna war wieder samt Steppdecke umgezogen und saß im Schneidersitz darauf, die Hände ruhten, Handteller nach oben, auf den Knien. Die ein, zwei Pfund, die sie letzten Monat zugelegt hatte, ließen Oberschenkel, Bauch und Po glatter und jünger erscheinen, darüber war sie immer noch so mager wie ein Karrengaul. Ihm war, als gebe es einen Zugang zu alledem, den er nur deshalb nicht sah, weil er noch nicht nahe genug heran war. Ihre Handgelenke waren so weiß, dass die Venen wie Blutergüsse aussahen. Neben sich hatte sie das Küchenchefmesser aus Kohlenstoffstahl gelegt, das er gekauft hatte, als Anna und er zum ersten Mal am Monster Beach gewesen waren. Die Klinge und das ganze Zimmer flackerten im unsteten grauen Schein der Fernsehbilder.
    »Ich versuche, all meinen Mut zusammenzukratzen«, sagte sie, ohne den Blick vom Feuer zu lassen. Ihre Stimme klang artig. »Ich wusste, wenn ich gesund werde, würdest du mich nicht mehr wollen.«
    Kearney nahm das Messer und legte es dahin, wo es weder in ihrer noch in seiner Reichweite war. Er beugte sich über sie und küsste ihr Rückgrat, wo es sich zwischen den dünnen Schulterblättern versteckte.
    »Und ob ich dich will«, sagte er. Er berührte ihre Handgelenke. Sie waren heiß aber unblutig. »Warum tust du das?«
    Sie zuckte die Achseln. Sie lachte ein kleines, unechtes Lachen. »Meine letzte Zuflucht«, sagte sie. »Eine Art Misstrauensvotum.« Kearneys Laptop lag offen auf dem Fernseher, er war auch eingeschaltet, zeigte aber nur einen tapetenartigen Bildschirmschoner. Daran angeschlossen hatte Anna die externe Festplatte, die sie von Tate bekommen hatten. Von all diesen Gesten war das die

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