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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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das werde ich dir nie vergessen. Aber ich habe meine eigenen Vorstellungen. Ich habe meine eigenen Wünsche. Und das nicht erst seit gestern. Du ziehst sowieso mit Madame Shen. O ja! Du hast wohl gedacht, ich wüsste das nicht? Ed, ich war schon vor dir hier. Nur ein Twink kann so was übersehen…
    Gegenseitig haben wir uns schon gerettet, Ed, nun ist es an der Zeit, uns selbst zu retten. Du weißt, dass ich Recht habe.«
    Eine lange, gekrümmte Woge von Trostlosigkeit raste auf sein Ufer zu: die Alcubiere-Pause vor der schwarzen Sturzsee; die aufgerollte Dünung des leeren Raums, die die bedeutsamen Ereignisse deines Lebens in sich hineinsaugt, eins ums andere, und wenn du nicht in die Gänge kommst, bleibst du dort hängen und starrst hinaus über nichts auf wieder nichts…
    »Sicher«, sagte er.
    »He«, sagte sie. »Sieh mich an!« Sie trat dicht an ihn heran, und ihre Augen suchten die seinen. »Ed, du wirst okay sein.«
    Ihre maßgeschneiderten Pheromone raubten ihm den Atem. Allein ihre Stimme bewirkte eine Erektion. Er küsste sie. »Mmmm«, machte sie. »Das war schön. Bald bist du wieder da draußen und fliegst mit diesen berühmten Ladypiloten um die Wette. Auf die ich ganz schön eifersüchtig bin.« Ihre Augen hatten die Farbe von Ehrenpreis auf den Auen eines firmeneigenen Dorfes von New Venusport. Ihr Haar roch nach Pfefferminzshampoo. Trotz allem hatte sie völlig natürliche Züge. Es war Kunst, kein Kunsthandwerk. Nichts erregte auch nur den leisesten Verdacht, sie könne beim Schneider gewesen sein. Sie war Sex am Stiel, Mona der Klon, der Taschenporno.
    »Ich hab bekommen, was ich wollte, Ed…«
    »Ich bin froh«, zwang Ed sich zu sagen. »Doch, ehrlich.«
    »… und dasselbe wünsch ich dir.«
    Er küsste sie auf den Kopf. »Pass auf dich auf, Annie.«
    Sie zeigte ihm ein Lächeln.
    »Das werd ich«, sagte sie.
    »Bella Cray…«
    Annie zuckte die Achseln. »Wie soll sie mich erkennen, Ed? Wo nicht einmal du mich erkennst.«
    Sie löste sich sanft von ihm und stieg wieder in die Rikscha. »Sind Sie sicher?«, fragte das Rikschagirl vorsichtshalber. »Ich meine, sie sind schon einmal rein und raus.«
    »Ich bin mir sicher«, sagte Annie. »Tut mir Leid.«
    »He«, sagte das Rikschagirl. »Keine Entschuldigung. Wer den Hafen beackert, ist nicht verwöhnt.«
    Annie lachte. Sie schniefte und wischte sich die Augen.
    »Pass du auch auf dich auf«, sagte sie zu Ed.
    Und damit war sie fort. Ed sah der Rikscha nach, die auf das Gatter des Raumhafens zuhielt, die auf dem nackten Beton immer kleiner wurde, die Reklame wie eine Fahne aus bunten Seidenschals und Schmetterlingen hinter sich herziehend. Einen halben Atemzug lang kam Annies kleine Hand zum Vorschein und winkte, einsam und fröhlich zugleich. Er hörte sie rufen, was er später erst verstehen sollte: »Verbring nicht so viel Zeit in der Zukunft!« Dann bog sie zur Stadt ab, und er sollte sie in diesem Leben nicht wiedersehen.
     
    Den Rest des Tages betrank Ed sich im Café Surf; als es dunkel war, schleppten ihn seine ehemaligen Spielkameraden vom Dunes Motel heim. Dort wartete Sandra Shen, das Aquarium unterm Arm. Die Alten lachten, pusteten und schüttelten ihre Hände, als hätten sie sich verbrannt. »Jetzt hast du ein Problem, mein Junge!«, prophezeiten sie ihm. Die ganze Nacht flimmerten in Annie Glyphs Kabuff blasse weiße Stäubchen; später dann draußen in den Dünen. Am nächsten Tag erwachte er erschöpft an Bord der Perfect Low. Er war allein, und das Schiff wärmte sich auf für den Start. Er spürte das Summen der Maschinen. Er spürte das Zittern in den Spitzen der Flossen. Von irgendwo tief unten drang das ölige Leerlaufwälzen der Dynaflowtreiber herauf, und seine Nackenhaare sträubten sich zum millionsten Mal, weil er hier und jetzt lebte und alles im Stich ließ, nur um da draußen sonst was zu finden.
    Immer mehr. Und immer noch mehr.
    Auch der kleine Frachter bebte vor Aufregung. Die Perfect Low suchte und fand ihr Gleichgewicht auf der Feuersäule und stürzte sich auf ihre drollige Art himmelwärts.
    »He, Ed«, drang ein, zwei Minuten später die spröde Stimme von Sandra Shen an sein Ohr. »Sieh dir das an!«
    Der Parkorbit von New Venusport wimmelte von K-Schiffen. Herden und Großherden so weit das Auge reichte, hunderte von ihnen in rastlos sich schichtenden und umschichtenden Formationen. Sie tauchten in und aus dem hiesigen Raum, spien Waffen aus, einander misstrauend wie Tiere, die Hüllen eine einzige

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