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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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Tresen hervor, jede Nervenzelle ein Zufallsgenerator. Er hatte kaum noch Gewalt über seine Glieder. »He, zum Teufel, Ed. Was mach ich hier?«, brüllte er. Ed, so bestürzt wie die Cray-Schwestern, starrte ihn an. Jeden Augenblick konnten Bella und Evie aus der Trance ihrer Bestürzung aufwachen. Sie würden sich den heruntergerieselten Putz von den Schultern wischen und irgendetwas Ernstes würde seinen Lauf nehmen.
    »Jesus, Tig«, sagte Ed.
    Nackt, nach lebenserhaltenden Flüssigkeiten stinkend und zwecks Verbindung mit dem Tank an ›neurotypischen Energiepunkten‹ punktiert, lief ein ausgezehrter Erdenmensch mit einem teils gewachsenen Mohikaner und zwei Schlangentattoos auf die Straße hinaus. Die Pierpoint lag verlassen da. Jetzt erhellten Explosionen und Lichtblitze die Fenster der Tankfarm. Tig Vesicle torkelte rückwärts aus der Tür, die Jackenärmel von der Rückschlagzündung des Hi-Lite in Brand gesetzt, und schrie: »He, zum Teufel!« und »Ich bin so Scheiße drauf!« Sie stierten einander entsetzt und erleichtert zugleich an. Chianese schlug die Flämmchen mit bloßen Händen aus. Den Arm um des anderen Schulter stolperten sie in die Nacht hinaus, vorerst noch trunken von lauter Körperchemikalien und Kameraderie…

 
10
     
Agenzien des Glücks
     
    Drei Uhr morgens: Der Wind und die Nacht hatten Valentine Sprake verschluckt. Michael Kearney stolperte am Nordufer der Themse entlang, dann versteckte er sich zwischen ein paar Bäumen, bis er eine Stimme zu hören glaubte, was ihn erneut in Angst und Schrecken versetzte, sodass er den ganzen Weg nach Twickenham rannte, bevor er sich wieder in der Gewalt hatte. Dort versuchte er nachzudenken, doch alles, was ihm in den Sinn kam, war das Bild des Shranders. Erst wollte er Anna anrufen, dann wollte er ein Taxi rufen. Aber seine Hände zitterten derart, dass er nicht telefonieren konnte, also tat er am Ende nichts von beidem und nahm stattdessen den Treidelpfad zurück gen Osten. Eine Stunde später machte Anna ihm auf; sie trug ein langes Baumwollnachthemd und wirkte erregt, er spürte ihre Hitze aus zwei Fuß Entfernung.
    »Tim ist bei mir«, sagte sie nervös.
    Kearney starrte sie an.
    »Wer ist Tim?«
    Anna blickte zurück in die Wohnung.
    »Alles in Ordnung, es ist Michael«, rief sie. Zu Kearney sagte sie: »Könntest du nicht morgen früh wiederkommen?«
    »Ich brauche bloß ein paar Dinge«, sagte Kearney. »Es dauert nicht lange.«
    »Michael…«
    Er schob sie beiseite. Die Wohnung roch stark nach Weihrauch und Kerzenwachs. Das Zimmer, in dem er seine Sachen aufhob, lag hinter Annas Schlafzimmer, dessen Tür halb offen stand. Tim, wer immer das war, saß am Kopfende des Bettes, an die Wand gelehnt, das Dreiviertelprofil im gelben Schimmer von zwei Kerzen. Er war Mitte dreißig mit reiner Haut und leichter aber athletischer Statur, gute Voraussetzungen für eine jungenhafte Erscheinung bis weit in die vierzig. Er starrte nachdenklich in das Glas Rotwein, das er in der Hand hielt.
    Kearney musterte ihn von oben bis unten.
    »Wer, zum Teufel, ist das?«, fragte er.
    »Michael, das ist Tim. Tim, das ist Michael.«
    »Hi«, sagte Tim. Er streckte die Hand aus. »Ich werde nicht aufstehen.«
    »Jesus Christus, Anna«, sagte Kearney.
    Er ging schnurstracks ins Hinterzimmer, wo eine kurze Suche eine saubere Levi’s und eine alte schwarze Lederjacke zutage förderte, die wegzuwerfen ihm damals zu Leid getan hatte. Er zog die Sachen an. Es nahm eine Fahrradkuriertasche mit Marin-Logo auf der Klappe, in die er den Inhalt der kleinen grünen Kommode lud. Als er dabei hochsah, fiel ihm auf, dass Anna die Kreidediagramme von der Wand gewischt hatte. Warum? Er hörte sie reden im Schlafzimmer. Immer wenn sie etwas zu erklären versuchte, nahm ihre Stimme kindische, überredende Züge an. Eben schien sie aufzugeben und sagte scharf: »Natürlich nicht! Was hast du denn gedacht?«, Kearney entsann sich, dass sie ihm Ähnliches zu erklären versucht hatte. Es gab ein Geräusch vor der Tür und Tim steckte den Kopf herein.
    »Lassen Sie das«, sagte Kearney. »Ich bin schon nervös genug.«
    »Kann man helfen?«
    »Nein, danke.«
    »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber es ist fünf Uhr morgens, und sie schneien schlammverkrustet hier rein.«
    Kearney zuckte mit den Schultern.
    »Nur keine Umstände«, sagte er. »Ich verstehe Sie richtig.«
    Anna stand verärgert an der Tür und passte auf ihn auf. »Gib Acht«, sagte er so warmherzig wie er konnte. Er war

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