Licht (Gone) (German Edition)
ein Viertel des Mundes befand – kullerte vom Felsen. Die andere Hälfte – wenig Nase, dafür umso mehr Mund – blieb oben liegen.
Brianna war alles andere als zimperlich, aber der Anblick von Drakes Gehirn war selbst ihr zu viel. Von der Struktur her sah alles immer noch menschlich aus. Nur dass er nicht blutete. Und trotzdem weiterlebte, was an sich schon Horror genug war.
Aber dieses Gehirn … war grau. Gehirne wurden zwar manchmal als grau beschrieben, waren aber in Wirklichkeit weiß mit einem Rosastich. Das wusste sie, weil sie schon mal eines gesehen hatte, das ausgetreten war. Das von Drake war grau mit einem Grünstich. Wie ein leicht vergammelter, in zwei Hälften geteilter Blumenkohl.
Sie konnte seine Stirn- und Nebenhöhlen sehen.
Und sie sah sein Gebiss.
Das Gehirn lag zwar noch in den beiden Schädelhälften, war aber in sich zusammengesackt und sah aus, als würde es herausfallen, wenn sie nur ein wenig an den Schalen rüttelte.
Außerdem verströmte es einen seltsamen Geruch. Wie das Fleischfach im Supermarkt.
»Was deine dreckigen Fantasien angeht, Drake: Möchtest du wissen, wo dein Pimmel ist? Im Handschuhfach eines Lasters, der in einen Graben gestürzt ist. Aber nicht in einem Stück. Der Rest schwimmt auf dem Meer. Nur für den Fall, dass du ihn vermisst.«
Drakes Mundwinkel zuckte, als wollte er etwas sagen, aber seine Stimmbänder waren endgültig hinüber. Die Zunge ragte seitlich heraus und reckte sich in die Luft.
Brianna öffnete den Beutel mit den toten Echsen und denkleinen Eiern. Sie hob die rechte Hälfte von Drakes Schädel vom Felsen und ließ sie hineinplumpsen. Dann klaubte sie die linke vom Boden auf und warf sie ebenfalls hinein.
Der Beutel war erstaunlich schwer und so sperrig, dass sie nicht auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigen konnte. Sie lief los und pfiff dabei eine fröhliche Melodie, die der Wind sofort davontrug.
Mit Pinkelpause und einmal Wassertrinken benötigte sie für die Strecke zum See knapp zehn Minuten. Auf dem Steg zum Hausboot schwang sie den Beutel betont lässig hin und her. Ihr war, als kehrte sie vom Shoppen zurück und könnte es nicht erwarten, mit den neuen Teilen vor ihren Freundinnen anzugeben.
Astrid und Dekka waren auf dem Oberdeck und schienen irgendetwas Wichtiges zu besprechen. Astrid wirkte ungeduldig. Als müsste sie sich schwer zusammenreißen, um nicht schnippisch zu werden. Dekka sah aus wie eine Sturmwolke, aus der es jeden Moment blitzen könnte. Alles ganz normal also.
Astrid bemerkte Brianna als Erste. »Solltest du nicht auf Patrouille sein?«
»Wo ist Sam?«, fragte Brianna.
»Unterwegs. Edilio auch«, antwortete Dekka. »Sagst du uns, was in dem Beutel ist, oder sollen wir raten?«
Brianna zögerte. Sie war enttäuscht. In ihrer Fantasie hatte sie den Inhalt einem schwer beeindruckten Sam Temple präsentiert.
Sie war aber auch müde und wollte den Beutel abstellen.Außerdem hätte sie ihr Geheimnis keine Sekunde länger für sich behalten können.
Sie kletterte behände auf das Oberdeck und verkündete grinsend: »Hat jemand Geburtstag? Ich hab nämlich ein Geschenk mit.«
»Brianna …«, sagte Dekka warnend.
Also öffnete Brianna den Beutel und hielt ihn ihr hin.
Dekka warf einen Blick hinein. »Was ist das?«
Brianna stülpte den Beutel um und ließ einen Klumpen aus toten Echsen, zerbrochenen Eiern und Drakes Schädel auf den Boden plumpsen.
Astrid schrie laut auf.
»Pfui Teufel!«, stieß Dekka hervor.
»Ich weiß«, sagte Brianna stolz.
»Oh mein Gott …«
»Bäh, ist das …?«
Zu ihren Füßen lag etwas, bei dessen Anblick die Spezialeffekt-Typen im Horrorfilmgeschäft vor Neid erblasst wären. Die beiden Schädelhälften hatten bereits begonnen, sich wieder zusammenzufügen, waren aber beim Transport hin und her geworfen worden, wodurch das Ergebnis sehr unvollständig aussah.
Im Moment blickten die Hälften in entgegengesetzte Richtungen. Der Nacken mitsamt den Halswirbeln schien aus der Schädeldecke zu ragen, während aus Drakes Dreiviertelmund Haarbüschel wuchsen, die zu seinem Hinterkopf gehörten.
Zwischen den beiden Schädelhälften klemmten Echsenteile. Nur waren sie jetzt nicht mehr tot, sondern schlängelten sich munter hin und her. Eins von Drakes Augen war mit Eiweiß verklebt.
Als der Kopf zu sprechen versuchte, schaffte er es nicht.
Die drei starrten ihn an. Astrid mit großen Augen und einer Hand über dem Mund. Dekka mit offenem Mund und gerunzelter Stirn. Und
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