Licht und Dunkelheit
Männer ihre Plätze. Egris sah Levarda fragend an. Sie nickte. Egal, was die Zukunft mit sich brachte, heute war ihr Leben in Lord Otis‘ Gegenwart so sicher wie das des hohen Lords.
»Wir sind hinter der Tür, wenn Ihr uns braucht, Lady Levarda«, versprach Sendad. »Ein Wort von Euch, und wir sind bei Euch.« Er warf Lord Otis einen warnenden Blick zu.
Dieser verzog das Gesicht. »Ihr habt zwei neue Beschützer.«
»Es spielt keine Rolle, das wisst Ihr so gut wie ich.«
Er nickte. »Ich habe einen Fehler gemacht. Es tut mir leid. Ihr habt allen Grund, böse auf mich zu sein«, er beugte sich etwas vor, »aber Ihr habt hoffentlich auch bemerkt, dass ich Euch das Leben gerettet habe.«
Levarda schloss die Augen, legte die Hand an ihren Hals und dachte über seine Worte nach. Es überraschte sie, dass er ihr gegenüber einen Fehler eingestand und sich bei ihr entschuldigte. Sie beide hatten heute viel voneinander gelernt. Vielleicht waren sie in der Lage, wenigstens für einen begrenzten Zeitraum miteinander und nicht gegeneinander zu arbeiten. Es könnte von Vorteil sein gegen das, womit sie es hier zu tun hatten. Lord Otis war nicht in Panik geraten, er hatte seine Energie unter Kontrolle behalten, trotz der heiklen Situation. In Zukunft musste sie vorsichtiger sein.
Sie öffnete die Augen. »Ich nehme Eure Entschuldigung an und bin Euch nicht böse.«
»Sicher?«
»Ja, ich bin kein rachsüchtiger Mensch.«
Seine Mundwinkel zuckten. »Nein, in der Tat, das seid Ihr nicht.«
»Wer war die Frau?«, lenkte sie das Gespräch auf die Schattengestalt, die ihnen erschienen war. Allein der Gedanke an sie ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
Er verstand sofort, was sie meinte, setzte sich auf die Bettkante und lehnte seinen Rücken an den Pfosten. Levarda zog die Beine an und überkreuzte sie. So konnte sie ihre Rückenmuskulatur entspannen, die durch die Arbeit mit Gregorius schmerzte.
»Prinzessin Indiras«, antwortete er schließlich.
Levarda, die ihren Kopf hin und her gedreht und sich mit den Händen seitlich den Hals entlanggestrichen hatte, um zu testen, ob alles in Ordnung war, hielt inne.
»Die erste hohe Gemahlin?«
Er nickte, und sein Gesicht verdüsterte sich. »Die Schwester von Prinz Tarkan.«
»War das eine Vision von Euch?«, fragte sie nach.
»Nein, ich glaube nicht. Es hat mich genauso überrascht wie Euch, als sich das Gesicht aus den Schatten formte, sonst wäre ich schneller mit dem Messer gewesen. – Ihr solltet die Finger von der Stelle lassen.«
Tatsächlich hatte Levarda unbewusst an dem Verband gezupft. Sie starrte auf ihr eigenes Blut an ihren Fingern und merkte, dass ihr Kopf leicht wurde.
»Ihr seid unglaublich«, Lord Otis schüttelte den Kopf, »es hat Euch nichts ausgemacht, Eure Hand in Sendads Wunde zu legen, aus der das Blut nur so strömte. Wegen ein paar Tropfen Blut von Euch selbst an Euren Händen kippt Ihr um. Ihr habt mich bei Gregorius mit Eurer Ohnmacht in Schwierigkeiten gebracht.«
Levarda schluckte. »Es liegt nur daran, dass es mein eigenes Blut ist.«
»Wollt Ihr Euch waschen, bevor wir weiterreden?«
Sie sah sich im Zimmer um. An einer Wand stand ein Regal mit Büchern. Es gab einen Schrank und einen Waschtisch mit einer Schüssel, keine Goldverzierungen, keine samtenen Stoffbahnen, keine Bilder an den Wänden.
»Wo sind wir hier überhaupt?«
Er verbeugte sich im Sitzen spöttisch vor ihr. »In meinem Reich, Mylady, und Ihr liegt in meinem Bett.«
Levarda beherrschte den Impuls, herauszuspringen. Sein Gesichtsausdruck bereitete ihr Unbehagen, aber sie wollte sich keine weitere Blöße geben. Es reichte, dass er sich über sie lustig machte, weil sie wegen ein wenig Blut in Ohnmacht gefallen war. Langsam, mit wackligen Beinen, stand sie auf, wusch sich die Hände und kehrte auf ihren Platz zurück.
»Diese Prinzessin Indiras – verstand sie etwas von den Elementen und deren Energien?«
Nachdenklich runzelte er die Stirn, sah sie aus schmalen Augen an. »Was denkt Ihr?«
Sie zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. »Ich kannte die Frau nicht.«
»Ich meine aus dem, was Ihr in Gregorius‘ Innerem gesehen habt. Ist es die Energie eines Elements?«
»Mir ist so etwas noch nie begegnet. Es ähnelt ein wenig der Dunkelheit, die mich in der Nacht umgab, als die Toten zu mir kamen.«
»Ihr meint, nach dem überfall?«
Sie nickte. »Aber das war außerhalb meines Körpers, nicht in meinem Innern. Es zog mich heraus und ging
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