Licht und Dunkelheit
lächelte nachsichtig, »seht mich an, schaut mir in die Augen, nehmt meine Hand, wenn Ihr wollt. Ich lüge nicht.«
Sie erhob sich, streichelte ihr übers Haar.
»Ich könnte Euch kein bisschen mehr lieben, wenn Ihr meine eigene Tochter wärt. Ich verspreche Euch: Wenn Ihr scheitert, finde ich einen Weg, um Euch zu retten.«
Levarda rührte sich nicht. Es war, als hätte ihr jemand alle Kraft entzogen.
Pläne
A m nächsten Tag blieb Levarda für sich. Selbst Adrijana jagte sie aus dem Zimmer. Erst, als ein Soldat ihr höflich an der Tür erklärte, dass am Tag zuvor eine Kiste für sie angekommen sei, gewährte sie zwei Dienern Zugang, die ihr eine Truhe sowie einen Brief brachten. Beides war geöffnet, die Truhe durchsucht worden.
Der Brief war sehr dick und kam von ihrer Familie. Jeder hatte ihr geschrieben. Sie setzte sich auf das Fenstersims und begann zu lesen. So erfuhr sie, dass sie Tante geworden war und außerdem zwei ihrer Geschwister noch in diesem Jahr heiraten würden.
Die liebevollen Worte ihre Mutter streichelten ihre gequälte Seele, und sie las ihn mehrmals, weinte, bis keine Tränen mehr kamen.
In der Truhe lagen nicht nur die langersehnten Heilkräuter und kostbaren Öle, sondern auch Kleider aus Mintra in Levardas zwei Lieblingsfarben – grün und blau. Sie ließ den knisternden Stoff verträumt durch ihre Finger gleiten.
Zuletzt entdeckte sie Miffel, ihr Kuscheltier aus Kindertagen, einen braunen Bären, der nicht nur immer auf ihrer Matte einen Platz gehabt, sondern auch mit ihr unglaublich viele Abenteuer erlebt hatte. Sie nahm ihn in die Arme und drückte ihr Gesicht in sein Fell. Es duftete nach Lavendel und Rosen. Levarda steckte ihn zwischen ihre Tagesdecke und das Kopfkissen und fragte sich, was die Männer wohl gedacht hatten, als sie Miffel in der Truhe entdeckten.
Am Abend kam Sendad. »Fühlt Ihr Euch kräftig genug für eine Sitzung? Wenn nicht, sollt Ihr Euch noch ausruhen.«
Levarda schüttelte den Kopf. Die Zeit wurde immer knapper und sie hatten bereits fünf Tage verloren. Gemeinsam gingen sie durch die Gänge der Garde zum hohen Lord, sie mit verbundenen Augen.
Ihr grünes Kleid aus Mintra hatte sie über den Tag mit Energie aufgefüllt, die der Stoff während ihrer Sitzung beim hohen Lord langsam an sie zurückführte. Obwohl sie viel mehr als in den vorherigen Sitzungen schafften, war das Ergebnis niederschmetternd. Am Ende schmerzte Levarda jeder einzelne Muskel in ihrem Rücken, und ihr Nacken war völlig verspannt von der Anstrengung.
Statt sie wie üblich zurück in ihr Zimmer zu bringen, schlug Sendad einen anderen Weg ein. Sie strauchelte, da sie den Weg innerlich so klar sah wie mit ihren Augen.
Als Sendad ihr die Augenbinde abnahm, befand sie sich in Lord Otis‘ Arbeitszimmer, das, wie sie mit einem Blick durch die Zwischentür feststellte, an sein Schlafgemach angrenzte. Im Kamin brannte ein Feuer und auf einem Tisch neben den Sesseln war ein reichhaltiges Abendmahl aufgetischt.
»Setzt Euch und esst«, forderte Sendad sie auf, »Lord Otis wird gleich hier sein.« Er schloss die Tür zum Schlafgemach, drehte den Schlüssel um und nahm ihn mit.
Levarda zog die Schuhe aus und machte es sich im Sessel bequem, lud sich einen Teller mit Essen auf, prüfte aber jeden Bissen sorgfältig auf Substanzen, die sie nicht kannte. Sie traute ihm nicht. Der gepanschte Wein war ihr zu lebhaft in Erinnerung.
»Ihr seht müde aus.« Lord Otis kam herein und ließ die Tür zum Flur offen. Zwei Soldaten standen dort.
»Vielleicht hätte ich Euch doch noch einen Tag gönnen sollen, auch wenn ich das Gefühl habe, wir wären erfolgreicher als sonst gewesen.«
Levarda schluckte einen Bissen herunter. »Eure Entscheidung war richtig. Jeder Tag, an dem wir nichts tun, wird uns am Ende fehlen.«
»Ihr denkt, Ihr schafft es?«
Levarda betrachtete die Trauben in ihrer Hand. »Ich weiß es nicht. Vielleicht, wenn –« Sie stellte den Teller ab, drehte ihren schmerzenden Nacken, dessen Verspannung nach oben in einen stechenden Kopfschmerz mündete. Das Nachdenken fiel ihr schwer.
»Dreht Euch um«, befahl Lord Otis und trat an ihren Sessel, »ich massiere Euch den Nacken ein wenig.«
Misstrauisch sah sie ihn an. Ein verlockendes Angebot, aber sie besaß eine Narbe am Hals von ihm.
Er lächelte.
»Heilerin aus Mintra, habt Ihr im Umgang mit Euren Männern ebenfalls so viel Angst? Oder liegt es immer noch an dem Schnitt in Eurer Kehle, dass Ihr zögert, mir zu
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