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Licht und Dunkelheit

Licht und Dunkelheit

Titel: Licht und Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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annahmen, der einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie entstammte und doppelt so alt war wie sie, wollte sie nur noch mit mir fliehen. Sie war davon überzeugt, dass ihr Vater die Entscheidung akzeptieren würde, wenn wir die Familie vor vollendete Tatsachen stellten. Er liebte seine Tochter über alles, müsst Ihr wissen.«
    Lemar nahm sich einen Becher, schüttete Wein hinein und trank ihn in einem Zug leer.
    »Der Rest ist schnell erzählt. Jemand verriet unser Vorhaben an ihren Bruder. Unsere Flucht endete nach dem zweiten Stadtring.«
    »Was geschah dann?«
    »Ihr Bruder glaubte, ich hätte sie entehrt, und all unsere Beteuerungen halfen nichts. Auch nicht mein Angebot, sie zu heiraten. Er meinte, seine Schwester hätte die Familie bloßgestellt.« Sein Gesicht verzog sich hasserfüllt. »Ich wollte ihn zum Duell fordern, doch Lord Otis bremste mich und warf mich in den Kerker. War die Familie auch arm, hatte sie im Kreis der Adligen ein hohes Ansehen. Er dachte, wenn er mich so drastisch bestrafen würde, könnte er mit dem Bruder über die Heirat verhandeln. Er hatte sich geirrt. Noch in derselben Nacht verschwand Sinja aus der Festung. Als Lord Otis seine Fehleinschätzung bemerkte, holte er mich aus dem Kerker. Ich war so wütend auf ihn, dass es zu einem Streit zwischen uns kam, der uns Zeit kostete. Als wir zum Hafen kamen, konnten wir nur noch die Segel des Schiffes am Horizont sehen.
    »Ihr habt sie nie wiedergesehen?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Auf jeder Reise hielt ich meine Augen offen und suchte nach ihr. Aber jede Spur verlor sich.«
    Sie hörte den Schmerz in seiner Stimme und hatte Angst vor dem, was er als Nächstes sagen würde.
    »Eines Tages, als der Bruder bei einem Kampf ums Leben kam, beorderte mich sein Vater auf seine Burg. Er zeigte mir ihr Grab in einem Waldstück fernab des Familienfriedhofs.«
    »Gebt mir Eure Hand.«
    Skeptisch sah er sie an. »Was wollt Ihr damit?«
    »Ihr habt gesagt, dass sie Euch liebte?«
    »Ja.«
    »Dann gebt mir Eure Hand.«
    »Sie ist tot.«
    »Ich weiß.«
    »Was wollt Ihr mit meiner Hand?«
    Statt einer Antwort erhob sie sich von dem Sessel und kniete sich vor ihn, ergriff seine Hand. Er machte Anstalten, sie ihr zu entziehen, aber sie hielt sie fest.
    »Wenn es Euch Kraft kostet, werde ich einen Kopf kürzer gemacht.«
    »Seid nicht so melodramatisch. Lord Otis wird Eurem hübschen Hals schon keinen Schaden zufügen. Und je mehr ihr Euch wehrt, desto anstrengender wird es für mich. Also haltet still.«
    Er gab seinen Widerstand auf.
    »Schließt die Augen, Lemar, und ruft sie Euch ins Gedächtnis.«
    Auch Levarda schloss ihre Augen, Sinja in ihren Gedanken. Sie sah eine junge Frau voller Liebe und Leid. Das war die Traurigkeit, die Lemar umgab.
    »Sie ist bei Euch.«
    Er entzog ihr hastig seine Hand. »Wie meint Ihr das?«
    »Dass sie Euch nie verlassen hat«, flüsterte Levarda, »denn manchmal, wenn Liebende gewaltsam voneinander getrennt werden, schafft es ihr Geist nicht, in das Licht von Lethos zu gehen. Sie verweilen bei den Menschen, denen ihre Liebe galt.«
    Sie öffnete die Augen, sah die Tränen in seinen, und war tief getroffen. Was sie von ihm verlangen müsste, würde sein Herz ein weiteres Mal zerreißen, und doch war sie es der Frau, die er geliebt hatte, schuldig.
    »Habt Ihr sie denn nie in Euren Träumen gesehen?«, fragte sie sanft, »wenn es Euch schlecht ging? Konntet Ihr nicht fühlen, dass sie bei Euch war? Sie liebt Euch, so wie Ihr es gesagt habt, und wenn Ihr es zulasst, wird sie in Eurem Herzen wohnen, solange Ihr lebt. Nur, weil wir etwas nicht sehen können, heißt es nicht, dass es das nicht gibt.«
    Ihm rannen die Tränen über sein Gesicht. Sie legte ihre Hand an seine kratzige Wange.
    »Aber Lemar, Ihr müsst sie gehen lassen. Ihr Geist darf nicht länger hier verweilen, sonst wird er den Weg ins Licht nicht finden, wenn es Euch nicht mehr gibt.«
    Langsam zog er ihre Hand von seinem Gesicht. Einen Moment fürchtete sie, dass er sich ihrem Wunsch verweigern würde. Stattdessen führte er ihre Handfläche zu seinem Mund und küsste sie, bevor er sie mit seinen Händen fest umschloss. »Sagt mir, was ich dafür tun muss.«
     
    Die letzten zwei Monate der Schwangerschaft waren für Levarda die furchtbarste Zeit. Ihre Cousine hasste ihren dicken, runden, vollen Körper, während Levarda ihn liebte. Unablässig summte sie dem Kind Lieder vor, sprach mit ihm, was die Nerven von Lady Smira bis aufs äußerste spannte.
    Als der

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