Licht
im Regen weg, obwohl wir Übung im Verabschieden haben.
Dole hält sich in ihrem Zimmer auf, ich kann mir nicht vorstellen, was sie macht. Ihre Sachen sind gepackt und sie hat dort kein Bett. Steht sie am Fenster, sitzt sie auf einem Stuhl? Sie spielt mit ihren Haaren und ist allein. Manchmal kam sie für eine Zigarettenlänge zu mir und blieb zwei Stunden. Sie ist nicht gekommen.
Wir sind hier fast ununterbrochen zusammen gewesen. Mit Ausnahme ihrer Reise nach Brüssel und einiger Nächte auf Partys hier in der Provinz ist Dole ständig mit mir zusammen gewesen. Was bedeutet das in ihrer Situation?
Monate ohne Zwischenfall, keine Termine, kein Telefon. Atemberaubend daran zu denken, daß bis zur Entdeckung des Briefs nicht das Geringste geschah. Es passierte nichts. Ruhige Tage in einem Atemzug, die Wahrnehmung des Lichts und die Liebe am Mittag, Selbstvergessenheit in der Jahreszeit, Tee und Sherry an langen Nachmittagen, alles nördlich, wie sie es liebt (darauf kann ich nie mehr verzichten, sagt sie, ich würde umkommen ohne diese Ruhe, ohne Bäume, Ginstergeruch und natürliches Licht, ohne Übereinstimmung mit dem Regen, den Veränderungen des Jahres, daran halte ich unter allen Umständen fest – die Michaeliszeit auf dem Land, die Weinernte und die Pflaumen, der duftende Nebel! Ereignislosigkeit, das wird mir jetzt fehlen, das war das Beste, was wir uns wünschen konnten, die von uns gestaltete, gut gemachte Zeit – ein bescheidener Versuch war das nicht). Es sieht hier wieder so aus, wie wir es vorfanden. Die Kücheneinrichtung ist wieder so leblos wie sie war, bevor wir unsere Fotos dagegen hängten. Küchenstühle – eine Vorstellung, die sich weltweit in Metallbeine und abwaschbaren Kunststoff übersetzen läßt. Traurig, traurig, da flüchten die Mäuse mit verheulten Augen in ihre Löcher, sagt Dole. Das ist praktisch und anonym, in gewisser Weise unangreifbar, ein zweckmäßig eingerichtetes Haus am Fluß, da können zur Not auch Millionäre wohnen, da leben wir besser als in charaktervoller Möblierung, trotz aller Plattheit ist das besser als Plüsch, für Dole eine Herausforderung, sie hat noch aus jeder Umgebung etwas gemacht. Ein paar Weinflaschen auf dem Fensterbrett, Bücher, Shawl und Spielzeuge auf dem Tisch, Aschenbecher und Zeitungen auf dem Boden, umgekippte Schuhe zwischen den Stühlen, danach sieht das alles ganz anders aus (und sie richtet sich auch für die Nacht im Hotelzimmer ein, befördert die Kleider auf Bügeln in einen Schrank, streut sieben mal sieben Kleinigkeiten aus ihrer Tasche, plötzlich sind Gläser und Weinflaschen da, Kerzen, die Lampe in einen Shawl gewickelt, Doles circensische Beleuchtungen, wo immer wir waren, Lichtinseln, Höhlen in lunarem Zwielicht, Verwandlung eines Hotelbetts in einen Alkoven und ihre Frage, ironisches Gurren: wie findest du das? wie habe ich das gemacht?).
Am Nachmittag verabschiedeten wir uns vom Verwalter des Bungalow, übergaben Schlüssel und bezahlten die Schäden (Fensterscheiben, ein Teppich, versengte Kissen). Auf dem Rückweg fuhren wir am Müllplatz vorbei, wo wir den Sommer lang unsere Abfälle hingeschafft haben, qualmende Halde unter Mückenschwärmen (dort hatten im Herbst Zigeuner geparkt, und wir sahen sie oft mit Gewehren im Müll, in Erwartung der Ratten). Wir warfen die letzten Abfälle fort und dachten daran, wieviel wir gelacht und getrunken hatten und was das gewesen war, ein Sommer zu zweit, und was es bedeutet, daß er zu Ende ist.
Es war ganz wunderbar für mich, sagte Dole, für dich doch auch, dieser Sommer, oder nicht?
Warum sagst du nichts?
Ja, wunderbar, Paradies, geflügelte Nacht, ein ganzes Leben vor dem Ende des Sommers.
Hier waren wir nur einmal und können gehn.
Manchmal wache ich auf, wenn es draußen hell ist, sagt Dole. Ich habe keine Vorstellung, wo ich bin. Ich begreife, daß das Licht vor mir da war, es ist zurückgekommen und älter als ich. Ich weiß nicht, ob ich nackt im Bett oder in Kleidern auf dem Teppich liege. Ich will es nicht wissen, brauche mir keine Vorstellung zu machen, weder von der Tageszeit noch von mir selbst. Ich weiß nicht, wie alt ich bin oder wie ich heiße, das ist ein Zustand ohne Erinnerung. Es ist möglich, daß ich zwanzig Jahre alt bin und im Haus meines Vaters auf der Fensterbank liege, es ist auch möglich, daß ich viel kleiner bin und ein unwahrscheinliches Leben vor mir habe. Keinesfalls bin ich älter als ungefähr jung. Ich halte die Augen geschlossen,
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