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Licht

Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Meckel
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Tisch. Die Einkäufe in den Warenhäusern der Kleinstadt, der Jack-London-Film im einzigen Kino dort. Die geöffneten Fenster nachts und der Grasgeruch, die Geräusche des Regens auf dem Garagendach. Das Bücherlesen nachts und das Nichtstun am Tag. Das Zeitverschwenden ohne Zeitverlust und die endlose Reparatur ihrer Schreibmaschine. Die Ereignislosigkeit und die Freude darüber. Das Erscheinen des Chianti-Vertreters an einem Nachmittag und Doles geduldige Freundlichkeit an der Tür. Ihre alte Begeisterung für Morandi und die Reproduktion eines Stillebens neben den Kleiderhaken im Flur. Das improvisierte Nachtessen in der Küche und die abendlichen Ausflüge in die Biergärten der Provinz. Ihre Hoffnung auf den kommenden Tag und das nächtliche Briefeschreiben in ihrem Zimmer. Der Wein, die Nüsse, der schwarze Tabak und das Brot aus der Bäckerei an der Straße nach Antwerpen. Die Streichungen in ihrer Artikelserie über die Streiks in Mailand, die Tränen, der Zorn und die Telegramme, die Erschöpfung danach und die gemeinsame Ruhe. Das Licht des Mittsommerabends, die schlaflosen Nächte und das Hundegebell in den Bauernhöfen am Fluß. Die Scherben der Weingläser auf der Gartentreppe, das Laub auf der Terrasse und das Papier.
    Bei beruflichen Reisen spielte die Saison keine Rolle. Wir flogen im Mai nach New York und im Winter nach Tunis. Das Reisen selbst war zu einer Strapaze geworden, die wir so schnell wie möglich hinter uns brachten, wir waren zu oft in der Welt herumgeflogen. Schade, daß wir das von Berufs wegen tun müssen, sagte Dole, New York oder Tunis, das klingt enorm; aber das ist es nicht, es ist nicht enorm. Was habe ich schon in den Ländern erlebt, um die ich beneidet werde, in der kurzen Zeit zwischen fünfzehn Terminen! Ich kenne die Flughäfen, ein paar Clubs und Hotels und Speisekarten in allen Sprachen; für alles andere bleibt ein Blick aus dem Taxi. Und wie aufregend ist das mal gewesen, mein erster Flug von Zürich nach Stockholm, das glückliche Schwindelgefühl zwischen den Bergen, als das Seewasser schräg unter mir wegschwamm, und die strahlende Schlagsahne-Wüste dort oben ein bißchen aufregend ist das immer noch, die maßlose blaue Höhle über den Augen.
    Aber der Rest war Routine und Unbehagen. Flugplätze waren für sie zum Alptraum geworden. Wenn wir zusammen sind, kann ich das aushalten, aber sobald ich allein bin, fällt es mir schwer und ich muß aufpassen, daß der Humor keinen Schnupfen kriegt. Ich langweile mich nie, außer im Gerede auf einer Party und in diesem immergleichen Airports. Sesselreihen aus grauem Kunststoff und auf dem Boden befestigte Aschenbecher. Dieselben eisgekühlten Sandwichpackungen und dieselben Orangen in der Plastiktüte. Dieselben neutralen, anmaßend angenehmen Lautsprecherstimmen all over the world – für mich fast eine persönliche Beleidigung. Nerzmantelgespenster auf den Rolltreppen, Aufmarsch von Herrenmasken und Paßbildköpfen; nett sein ist alles, der Rest ödet an. Die immer gleichen Rudel fotografierender Asiaten und die immer gleichen Rudel von Stewardessen, ich würde mich umbringen, wenn ich so aussehn müßte, Hautcremgesicht aus dem freudlosen Land des Lächelns. An keinem Platz der zivilen Welt, nicht mal im Warteraum einer Behörde, verging die Zeit so lähmend und körperfremd. Warten, rauchen, Zeit verlieren, während das Abc durch die Anzeigetafeln schnurrte, bis ein verspäteter Abflug vor Augen stand – meinem Lebensgefühl entspricht das nicht, sagte Dole. Halluzinationen, Überdruß, Tristesse. So schnell wie möglich wieder privatisieren, Kleider ausziehn, lachen, duschen und tanzen! Beiß in einen Apfel, sei kopflos und küß mich! Und wie umwerfend war das an der Kornküste gewesen, der Flugplatzschuppen in Monrovia nachts. Schwitzende Riesen in Shorts und Stiefeln schoben uns in eine Durchgangsbaracke, die Bordkarten hatten Griffe wie Tischtennisschläger, die Ventilatoren standen still und alles war wacklig: die Holzbänke, die Absperrungen, die Pulte der Zollbeamten und die ledernen Sitzschüsseln first class. Pomadige Negerinnen mit Hühnern und Kindern, schreiende Jungen in Küchenschürzen. Sie wuchteten ihre Bauchläden in die Passage, und wer vorbeikam, mußte was kaufen: Erdnüsse, Halstücher, Perlenketten und diese mit Schuhwichse schwarz polierten Taschengötter für sieben Dollars. Schwärme von Schuhputzern, gegen die wir unsere Sandalen verteidigten. Regenzeitnacht und das Buschland hinter der

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