Lichtbringer - Lichtbringer
dachte, dass es für eine Nachtalbe wenig angemessen war, die Dunkelheit zu fürchten.
Vom Gelände der Akademie war sie hierhergekommen, weil sie ein vertrautes Umfeld suchte. Hier lag der Teil der Altstadt, der den Anschluss an das neue Stadtzentrum verpasst hatte, jahrhundertealte Bauten mit einigen wirklich alten Türmen dazwischen. Goblinheim, so nannte man das Viertel. Einst war es ein stolzer Ort gewesen.
Frafa überquerte Brücken, die bei jedem Schritt schwankten. Sie hörte Steine unter ihren Füßen in die Tiefe poltern. Dann ließ sie die Überreste der alten Hochstraßen hinter sich; neue Straßen für Selbstfahrer waren hier nie gebaut worden. Sie stieg hinab, hinab nach Goblinheim, folgte den schmalen Gassen zu ebener Erde, ging durch Innenhöfe und Durchstiche zwischen den Häusern, und schließlich öffnete sich vor ihr ein weiter Platz, hinter dem ein größerer Schatten aufragte.
Die Halle der Helden.
Das Bauwerk erhob sich bis in eine Höhe von einhundertfünzig Doppelschritt. Den unteren Teil erreichte man über eine breite Freitreppe, und von dort führte ein Tunnel durch die gewaltigen Grundmauern in den unteren Saal. Das zweite Stockwerk hatte einen eigenen Zugang und war überbaut mit einer gewaltigen Kuppel. Ein Prunkbau, der Stolz des nachrevolutionären Daugazburg -jetzt kauerte er schildkrötengleich vor den modernen Türmen in den angrenzenden Vierteln, von denen manche fast einen Kilometer hoch aufragten. Blau und rot und kaltweiß ausgeleuchtet, glitzerten die Hochhäuser im Hintergrund, umwoben von Hochstraßen wie von funkelndem Geschmeide ... und die Halle der Helden lag davor wie ein düsterer, zusammengeschrumpfter Koloss, die Leuchtfeuer an den Flanken lange erloschen.
Aber es war Frafas Ort.
Andere hatten ihn geplant, aber gebaut hatte man ihn zu Beginn ihrer Kanzlerschaft. An diese Halle hatte sie gedacht, als ihr bewusst geworden war, dass sie nicht nach Hause zurückkehren konnte, es war das Erste, was ihr in den Sinn kam, wenn sie an eine Zuflucht dachte.
Sie trat durch das schwarz gähnende Loch ins Innere des Bauwerks. Ein Geruch von Qualm und Fäulnis schlug ihr entgegen. Sie rümpfte die Nase. Goblinheim hatte auch diesen geheiligten Ort letztendlich überwältigt. Frafa sah die Graffiti überall an den Wänden und roch die eingetrockneten Urinflecken.
Zwei überlebensgroße Statuen bewachten den Zugang zur großen Halle. Ihre Gesichtszüge wirkten leer, die Konturen verwaschen. Frafa blinzelte, aber es lag nicht an der Dunkelheit im Saal: Die Figuren waren bis zur Unkenntlichkeit verwittert. Frafa versuchte sich zu erinnern, ob der Verfall bei ihrem letzten Besuch schon so weit fortgeschritten gewesen war, aber sie wusste nicht einmal mehr, wann dieser letzte Besuch stattgefunden hatte.
Die Halle der Helden war gebaut worden in einer Zeit fast ohne Technologie, als das Volk nach heutigen Maßstäben bedrückend arm gewesen war. Wie konnte es sein, dass in einem Zeitalter von Thaumatek, billiger, überall verfügbarer Energie, von Selbstfahrern und allgemeinem Wohlstand niemals genug Geld da gewesen war, um dieses Zeugnis der Geschichte auch nur zu erhalten?
Frafa ging an der Wand entlang und studierte die Statuen in ihren Nischen: Nachtalben, Nachtmahre, Goblins, später Gnome, Kobolde und Menschen, immer mehr Menschen, deren Gesichtszüge immer klarer hervortraten, bis zu den neusten Figuren, die an der Stirnseite der viele hundert Schritt messenden Halle standen. Bei den meisten Skulpturen wusste Frafa, wer hier abgebildet war. Viele hatte sie selbst ausgewählt und ihnen einen Ehrenplatz im Gedächtnis der Stadt zugebilligt. Die Helden von Daugazburg im Wandel der Zeiten - bis vor Hunderten von Jahren die letzte Statue hier ihren Platz gefunden und sie alle zusammen vergessen worden waren.
Nein, dieser Ort bot keine Zuflucht. Frafa fragte sich, warum sie hergekommen war. Langsam wanderte sie an der Wand entlang wieder zum Eingang zurück.
Eine Bewegung dort ließ sie erstarren. Nein, nicht eine Bewegung, sondern viele Bewegungen, fast ein Wimmeln in der Finsternis. Frafa trat in den Schutz einer Nische, verborgen hinter dem überlebensgroßen Bildnis eines Kobolds. Dann ließ sie ihre Aura ausgreifen.
Sie stieß nicht auf Magie, sondern auf Leben. Fühlte den Schlag zahlloser Herzen, Blut, das in Adern floss, spürte die Kraft von Muskeln. Keine Schatten, keine Dämonen, keine magische Bedrohung - nur Goblins.
Frafa atmete auf und schob sich ein wenig
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