Lichtbringer - Lichtbringer
die sie im Äther fand.
Wörter und Sätze schwebten vor ihr, die Abdrücke von Tinte auf Papier. Dazu Gesichter, Personen, Handlungen - alles, was einst an diesem Ort gewesen war. Die Eindrücke blieben blass und unscharf, wie auf der Sichttafel eines Bühnenprojektors, der ein Stück nicht von Anfang bis Ende abspielte, sondern der alle Bilder zugleich zeigte. Zu vieles überlagerte sich, zu viele Auren waren zu schnell und zu oft bewegt worden. So klar strukturiert der Äther hier auch war, Frafa konnte die Abläufe nicht so genau voneinander trennen.
Was blieb, waren einzelne Bilder, und die waren oft überraschend: Sie sah Gulbert und Aldungan. Beide Zauberer, mit denen Frafa in Daugazburg zuletzt zu tun gehabt hatte, waren vor dreihundert Jahren hier gewesen, hatten gemeinsam gearbeitet, allein und ohne Zeugen. Eine Weile versuchte Frafa, deren Tun zu verfolgen, dann gab sie es auf.
Die Schriften, die länger am selben Ort gelegen hatten, ließen sich leichter zusammenzufügen.
Frafa ertastete den Äther in den Schubladen und auf dem Schreibtisch. Sie las in Blättern, deren körperliche Vorlagen längst vernichtet waren und die sie dennoch dem Vergessen entreißen konnte. Frafa war begeistert, und sie war stolz auf das, was sie tat. Nur eine willkürliche, eine zufällige Auswahl an Texten ließ sich entschlüsseln, und vieles blieb verschwommen. Doch es reichte aus, dass Frafa eine lange Zeit beschäftigt war.
Während ihr Körper vergessen unter dem Berg hockte, stöberte ihr Geist in alten Papieren, wanderte in benachbarte Schreibstuben. Nur am Rande ihres Bewusstseins nahm sie wahr, wie der Strom des Blutes der Erde sich veränderte, wie die Matrix, die dieser Strom dem Äther aufzwang, sich auseinanderzog und neu gestaltete. Frafa glich die unstete Bewegung aus, hielt zusammen, was sie rekonstruiert hatte, und las.
Aldungan und Gulbert hatten an magischen Herzen gearbeitet... Sie hatten versucht, ein magisches Herz zu verändern, es neu zu formen und anzupassen. Frafa stutzte.
Unmöglich!
Sobald ein Magier ein magisches Herz schuf, band er sein Leben ein für alle Mal daran. Er konnte kein zweites schaffen, und er konnte das erste nicht verändern, denn jede Einwirkung darauf beeinflusste auch ihn und brachte ihn in Gefahr. Sojedenfalls war die allgemeine Lehre.
Dennoch waren die beiden mächtigsten Zauberer der Welt hier zusammengekommen, um diese Grenzen der magischen Kunst zu überschreiten. Fast ein Jahrhundert, so schätzte Frafa, hatten sie gemeinsam hier gearbeitet, nicht ständig und ununterbrochen, doch immer wieder in unregelmäßigen Abständen. Mal war der eine hier gewesen, mal der andere, dann wieder beide zusammen. Sie hatten Experimente angestellt, Ergebnisse notiert. Und es waren nicht unbedingt ihre eigenen Herzen gewesen, an denen sie gearbeitet hatten ...
Wieder hielt Frafa inne, und sie spürte einen Schauder. Magische Herzen waren selten geworden in diesen Tagen, seltener als in Frafas Jugend. Sie wusste nicht, wie viele Zauberer überhaupt noch eines besaßen, doch es machte den Eindruck, als hätten Gulbert und Aldungan vor drei-, vierhundert Jahren gezielt Jagd auf alle gemacht, die es damals gab.
Die letzten großen Zauberer, deren Tod man neidischen Konkurrenten, zufälligen Herzdieben oder Agenten im Krieg zwischen Gulbert und den Finstervölkern angelastet hatte, sie waren alle hier gestorben - verraten von den eigenen Herrschern, die zum Zwecke ihrer Forschung die stärksten Verbündeten opferten. Die bloße Zahl der magischen Herzen, die an diesem Ort ihr Ende gefunden hatten, war erschreckend! Es war kein Wunder, dass kaum ein Zauberer, der älter war als Frafa, heute noch lebte - kaum einer, der älter war, und keiner, der ähnlich mächtig war, mit Ausnahme von Gulbert und Aldungan selbst.
Die Papiere, die Frafa in zufälliger Folge dem Äther entriss, waren kompliziert und ungeordnet. Sie hatte Mühe, die Details zu verstehen. Was hatten die beiden Zauberer mit ihren magischen Herzen eigentlich erreichen wollen? Letztendlich war es um Gulberts Herz gegangen, so viel verstand sie endlich. Gulbert hatte sein Herz verändern wollen, und Aldungan hatte ihm dabei geholfen.
Warum?
Ein dumpfes Dröhnen riss an Frafas Geist. Es fiel ihr immer schwerer, die Bedürfnisse ihres Leibes zu übergehen, ihn beiläufig am Leben zu erhalten. Aber sie wollte doch verstehen!
Dann dämmerte es ihr. Es war im Grunde gar nicht von Bedeutung, was genau die beiden Magier getan
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