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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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Blick auf den Karton, in dem sich das Altpapier stapelte.
    Der große Umschlag lag nicht zuoberst, aber ich konnte eindeutig eine Ecke davon unter der daraufgeworfenen Zeitung hervorragen sehen. Er hätte mir schon früher auffallen müssen.
    Schluep, der meinem Blick gefolgt war, trat plötzlich einen Schritt näher. Den Schürhaken drohend gegen mich gerichtet, bückte er sich und schnappte sich das Kuvert. »Hätte ich beinahe vergessen«, murmelte er und der Kirschauflauf wackelte erneut.
    »Nicht zum ersten Mal.«
    Er blickte überrascht auf.
    »Der Umschlag hat ursprünglich auf dem Korpus dort drüben gelegen.« Ich deutete Richtung Küche. »Doch noch während die Polizei den Tatort sicherte, haben Sie ihn entwendet.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
    »Genauso wenig Ahnung, wie Sie von dem blutigen Kleid in der Handtasche haben?«
    Er lachte trocken. »Welches blutige Kleid? Wenn ich euch der Polizei übergebe, wird weder ein blutiges Kleid noch ein Umschlag zu finden sein. Aber ihr, ihr werdet als Einbrecher dastehen, die zurückgekommen sind, um das Gemälde von Hodler zu holen, und die ich dabei auf frischer Tat ertappt habe. Die Beweislage wird eindeutig sein, das Bild hat das Haus nämlich nie verlassen. Und dann wird dieser grausame Raubmord, der das ganze Land erschüttert hat, endlich aufgeklärt sein. Und Grafs Mörder gefasst.«
    »Ausländer natürlich, wie könnte es auch anders sein. Und sie werden als neuer Parteichef gewählt.«
    »Es spricht nichts dagegen.«
    »Nun, wir werden ja sehen, was die Polizei dazu meint.«
    Hinter mir hörte ich José hüsteln, doch ich ließ mich nicht beirren: »… wenn ich sie auf die Bilder vom Tatort hinweise. Denn darauf …« José hustete mittlerweile und bohrte mir den Finger in den Rücken. »… ist eindeutig zu erkennen, dass jemand während der Sicherung des Tatorts einen Umschlag entwendet hat. Und so viele Leute kommen dafür nicht infrage. Sowohl von dem Erpresserbrief als auch von den Fotos existieren Kopien, und einmal darauf aufmerksam gemacht, bin ich mir sicher, dass die Polizei beidem größtes Interesse entgegenbringen wird. Denn dort findet sich das wahre Mordmotiv.«
    Schluep hatte mir aufmerksam zugehört, jetzt sah er mich grimmig an. »Wenn du noch dazu kommst, davon zu erzählen, du Plaudertasche.«
    Blitzschnell riss er den Haken hoch und holte weit aus. Ich duckte mich instinktiv, doch der erwartete Schlag blieb aus. Stattdessen war ein dumpfes Knirschen zu hören, gefolgt von einem hellen Klirren. Als prallten Likörfläschchen gegeneinander.
    Vorsichtig blickte ich auf.
    »Die Waffe einer Frau!«, lächelte Miranda und schwang gut gelaunt ihre goldene Handtasche. »Die hat uns schon einmal gerettet. Mir war etwas langweilig da draußen, aber als ich den Bandagierten hier reinschleichen sah, wusste ich, dass bei euch wahrscheinlich voll die Party abgeht!«
    Benommen wankten José und ich aus der Besenkammer und betrachteten den reglos am Boden liegenden Schluep. Ich nahm den Umschlag, den er immer noch in der einen Hand hielt, an mich. Aus der Ferne war Motorengeräusch zu hören, das näher kam. Jetzt hörte man das flappende Geräusch von wendenden Pneus auf dem Asphalt, dann herrschte Stille.
    »Wenn mich nicht alles täuscht, kriegen wir gleich Besuch.«
    Eine Autotür wurde zugeschlagen, eine weibliche Stimme war zu hören, kurz darauf Schritte auf dem Kiesweg. Uns blieben Sekunden.
     
    Der Schlüssel drehte sich im Schloss und die Tür schwang auf. Im nächsten Augenblick wurde der Lichtschalter betätigt und Alice Graf betrat das Haus.
    Wie immer war sie perfekt gekleidet. Sie trug ein schwarzes Kostüm zusammen mit einer goldenen Halskette, das dunkle, volle Haar war zu einer streng wirkenden Frisur gekämmt. Einzig ihr Gesicht konnte ich von meiner Position aus nicht erkennen.
    Einen Moment lang verharrte sie auf der Schwelle, dann drehte sie sich entschlossen um und sagte zu der Person, die offenbar draußen stehen geblieben war: »Von hier schaff ich es alleine.«
    Eine junge Männerstimme wagte einen zögernden Einwand: »Aber mein Vorgesetzter hat gemeint, ich müsste dabei sein, wenn Sie …«
    »Machen Sie sich keine Sorgen, er wird niemals davon erfahren«, beruhigte sie ihn mit einer Stimme, die keine Widerrede duldete.
    »Aber …«
    »Ich bin gleich zurück.« Damit schloss sie die Tür und lehnte sich kurz mit dem Rücken dagegen. Dann wandte sie sich der Garderobe zu. Und erstarrte mitten in

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