Lichterfest
auseinandersetzen müssen, der zu Lebzeiten stark polarisiert hatte und selbst in der eigenen Partei nicht wenige, wenn auch duckmäuserische oder gar mundtote, Kritiker gehabt hatte und nun als viel zu früh verstorbener Held dastand.
Es war mittlerweile beinahe Mitternacht, doch ich fühlte mich hellwach. Beschwingt stieg ich die wenigen Stufen zum Eingang von Daniel H. hinauf, meiner momentanen Lieblingsbar. Das kleine, charmante Lokal erinnerte mit seiner altmodischen Kaffeemaschine, der Vitrine mit den Wurstwaren und den eingemachten Spezialitäten auf den schmalen Wandregalen an einen italienischen Feinkostladen. Doch dank der schrägen Dekoration, die Hirschgeweihe, Werbeplakate aus den Fünfzigerjahren und Marienfiguren scheinbar willkürlich kombinierte, wehte hier ein Hauch von Weltstadt. Der Laden lag etwas geduckt neben einer Baustelle – auch hier musste ein Altbau Platz machen für Neues.
Es war nicht viel los. Halblaut lief Musik, drei im Stil business casual gekleidete Frauen saßen auf dem Sofa im hinteren Teil des Raumes, tranken Prosecco und unterhielten sich gackernd. Einsam an einem Bartisch in der Ecke, einen bunten Cocktail vor sich, saß einer dieser › jung gebliebenen‹ Männer, die sich irgendwo tief drin immer noch für fünfundzwanzig und entsprechend athletisch hielten. Seine aufgedunsene Körpermasse hatte er in ein offensichtlich für Schulmädchen konzipiertes Mickymaus-T-Shirt gequetscht, was unangenehm an Presswurst erinnerte und darüber hinaus das Gesicht der Maus zu einem Haifischgrinsen verzerrte. Aus den dafür vorgesehenen Öffnungen des Kleidungsstücks – immerhin – quollen derweil schlafffleischig Arme, Hals und Bauchansatz. Ich erkannte in dem Mann einen notorisch überheblichen Kolumnisten, der in Frauenmagazinen und Rat gebern der Bevölkerung Stil beizubringen versuchte. Unübersehbar verzichtete er selbst aber auf ebendiesen. Vielleicht hingen auch nur die Spiegel in seiner Wohnung etwas hoch.
Ich setzte mich auf einen Hocker an der Theke, winkte der nicht mehr ganz jungen Bardame zu, die es wie keine andere verstand, erschöpft aussehend an der Geschirrspülmaschine zu lehnen, und hob dann vorsichtig Mirandas Kopf an, um den Aschenbecher darunter hervorzuziehen. Ich bestellte für uns beide Wodka Tonic und zündete mir eine Zigarette an.
»Seit etwa zwei Stunden«, bemerkte die Bedienung auf meinen fragenden Blick, bevor sie wieder an ihren Stammplatz schlurfte. »Einfach vornübergekippt.«
Ich nickte und wartete, bis die Drinks kamen, dann stellte ich Miranda das Glas vor die Nase und fächelte die Luft in ihre Richtung. Ruckartig richtete sie sich auf.
»Besser als jedes Riechsalz«, grinste ich, während sie sich benommen die Augen rieb, die Frisur zurechtrückte, stutzte, um dann gereizt eine Kippe aus dem Haar zu pulen. Anschließend gähnte sie herz- und wenig damenhaft.
»Geht’s dir nicht gut?«
Wortlos erhob sie sich und verschwand um die Ecke, kurze Zeit später rauschte die Spülung und ein verräterisches Schnupfen war zu vernehmen, als sie aus dem Damenklo trat.
»Ich hab die Nase so voll«, stöhnte sie, als sie sich neben mir auf den Barhocker fallen ließ.
»Ich hab’s gehört, danke.«
Sie schnaubte ungehalten. »Mir steht der Job bis hier.« Mit flacher Hand deutete sie den Pegel in ihrer Halsgegend an. »Diese Typen … Sie widern mich nur noch an. Ihre gierigen Finger, die lüsternen Blicke, die Wampen, die gelben, eingewachsenen Zehennägel, ihre verschwitzten, ungewaschenen, stinkenden Körper, die anzüglichen, ach so lustigen Bemerkungen, mit denen sie beweisen wollen, dass sie Männer von Welt sind. Ihr Gekeuche und der Mundgeruch, die triumphierenden Blicke danach, wenn ich ihnen vorlüge, wie geil sie waren. Ich halte das nicht mehr aus!«
»Trinkst du auch genug?«
»Mehr, als ich ertragen kann, mein Lieber, Litsche kann dir ein Lied davon singen.« Sie deutete auf die hagere Bardame mit dem merkwürdigen Namen, die augenrollend zustimmte, sich aber nicht von ihrer Geschirrspülmaschine wegbewegte.
»Wäre ich Lehrerin oder so eine Bürotante, man würde sofort von Burn-out reden, mich untersuchen und dann ein paar Monate in Urlaub schicken. Aber in meinem Metier gibt’s leider immer noch keine Versicherung für nicht erbrachte Leistungen.«
»Mach doch was anderes.«
Sie warf mir einen giftigen Blick zu, als hätte ich angedeutet, sie sähe aus wie zweiunddreißig. »Was denn, bitte schön? Handlesen? Panflöte
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