Lichterfest
mich zu meiner Beruhigung in meinem eigenen Schlafzimmer wieder und griff dann nach dem Wecker, der mir verriet, dass es sieben Uhr war. Keine Zeitangabe, die mir geläufig war.
Ich ließ mich stöhnend zurückfallen und vergrub mein Gesicht im Kissen, als das Kreischen einer weiteren Maschine einsetzte, dazu schien jemand Eisenstangen in einem synkopischen Rhythmus gegeneinanderzuschlagen.
Mit offenen Augen hörte ich der Kakophonie zu, doch gerade, als ich glaubte, dass an Schlaf nicht mehr zu denken sei, und mich griesgrämig entschlossen hatte aufzustehen, verstummte der Lärm unvermittelt. Wohltuende, beinahe sonntägliche Stille machte sich breit. Ich blickte erneut auf die Uhr. Jeden Morgen dasselbe: Eine Viertelstunde lang lärmten die Bauarbeiter mit grimmigem Eifer vor sich hin. War das Quartier wach gerüttelt, begaben sie sich in die Frühstückspause und bewegten sich für den Rest des Tages nur noch wie Ballerinas auf Zehenspitzen. Ich fragte mich, ob das ein fester Teil ihrer Ausbildung war.
Die unzähligen Baustellen im Quartier waren eine Qual für jemanden wie mich, der nichts mit gängigen Arbeitszeiten anfangen konnte, und es sah nicht danach aus, als würde sich die Situation innerhalb kurzer Zeit wieder beruhigen.
Ich drehte mich zur Seite und war gerade sanft eingeschlummert, als der Wecker losging. Fluchend schaltete ich ihn aus und zog die Decke über den Kopf. Wenige Minuten später klingelte es auch noch an der Tür. Ich sprang aus dem Bett, bereit, dem frühen Besucher Unflätigkeiten an den Kopf zu schmeißen, als mir schlagartig einfiel, dass ich erstens nicht Mel Gibson war und zweitens meiner Mutter versprochen hatte, Auntie Bahula am Flughafen abzuholen. Noch ehe ich es ganz aus dem Schlafzimmer geschafft hatte, stand sie bereits in der Wohnung. Ich musste mir angewöhnen, die Haustür abzuschließen.
Meine Mutter hatte das Haar straff nach hinten gekämmt, die Wimpern dramatisch getuscht und etwas Lippenstift aufgetragen, auf ihrer Stirn leuchtete rot das Bindi, das dritte Auge, wie es auch genannt wurde, und am Handgelenk klirrten unzählige fadendünne Armreifen aus Gold. Sie trug einen leuchtend orangefarbenen Sari, den ich noch nie an ihr gesehen hatte, am Arm baumelte eine braune Lederhandtasche, und ein süßlicher Parfümgeruch strömte von ihr aus. Dass sie das gesamte Waffenarsenal aufgefahren hatte, bedeutete nur eines: Sie wollte beeindrucken und gleichzeitig Klarheit über die zukünftigen Machtverhältnisse schaffen. Auntie Bahula würde sich ziemlich ins Zeug legen müssen, wollte sie neben meiner Mutter bestehen.
»Hai rabba!«, stieß sie aus, als sie sah, dass ich noch nicht einmal angezogen war, fasste sich aber schnell und trieb mich zur Eile an: »Chalo, chalo, jaldi karo!«
Ich hielt mir die Ohren zu und verschwand im Badezimmer.
Eine halbe Stunde später saß ich in der Ankunftshalle des Flughafens Kloten und beobachtete durch die riesigen Fensterscheiben Auntie Bahula, die mit ihrem Sari in Hellblau und Gold wie eine bunt eingepackte Weihnachtsschokokugel aussah. Ihr Gesicht war gespenstisch weiß gepudert, das Haar schwarz gefärbt, die Lippen dafür knallrot. Sie sah aus wie ein abgehalftertes Schneewittchen, das sich eine Rolle in der Twilight -Saga ergattern wollte. Sie klammerte sich an eine überdimensionale Handtasche und blickte ungeduldig zu der Klappe, durch die demnächst das Gepäck auf dem Rollband erscheinen würde. Zwischendurch versicherte sie sich immer wieder mit ängstlich zusammengekniffenen Augen, ob wir noch da waren. Dabei wackelte sie unablässig mit dem Kopf, als würde sie von einem Schwarm Moskitos belästigt, sodass ihr die schwarze Hornbrille immer wieder über die Nase rutschte. Meine Mutter stöhnte verhalten, doch als ich sie fragend ansah, tat sie, als bemerkte sie es nicht.
Endlich setzte sich das Band in Bewegung und erste Gepäckstücke tauchten auf. Auntie Bahula sah sich mit hochgezogenen Augenbrauen um, als erwarte sie einen diensteifrig herbeieilenden Kuli, doch als – für sie wohl unverständlich – keiner erschien, holte sie sich kopfschüttelnd selbst einen Wagen.
»Wie lange will sie bleiben?«, flüsterte ich meiner Mutter zu, während der Stapel an Koffern und Taschen immer größer wurde.
Anstelle einer Antwort hob diese nur bedenklich eine Augenbraue. Ich folgte ihr zum Ausgang nach den Zollkontrollen, wo alsbald Auntie Bahula auftauchte. Zuerst fuhr sie beinahe an uns vorbei, entweder weil sie
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