Lichterfest
gewonnen, wer weiß.« Sie blickte nachdenklich aus dem Fenster und strich sich mit zitterigen Fingern eine Haarsträhne hinters Ohr. »Deswegen wäre es purer Blödsinn gewesen, ihn so kurz vor den Wahlen umzubringen. Und dann noch so! Eine Frau tötet anders.«
Insgeheim gab ich ihr recht.
»Und eine Frau hätte auch weitergedacht«, fuhr sie eifrig fort. »Das muss ja eine Riesenschweinerei gewesen sein. Blut überall und was sonst noch so aus einem Menschen raustropft, wenn man ihn durchbohrt. Das wäre ganz schlecht für den Parkettboden. Oder haben die wohl Laminat? Das wäre eine echte Katastrophe!«
Ich sah meine Gesprächspartnerin fassungslos an und fragte mich, was sie wohl für Tabletten nahm. So würde ich auch alt werden wollen.
»Ich meinte ja nur …«, fügte sie verlegen hinzu, als sie meinen Blick bemerkte.
»Das wäre in jedem Fall viel Arbeit für die Putzfrau gewesen«, bemerkte ich grinsend.
Claire, die sich gerade vom Fenster abgewendet hatte, erstarrte mitten in der Bewegung. Ich wich instinktiv zurück, als sie überraschend behände herumfuhr und ihr Zeigefinger auf mein Gesicht zuschoss. »Jetzt, da Sie es erwähnen: Das war wirklich merkwürdig!«
»Was denn?«
»Sehr merkwürdig«, murmelte sie und setzte sich umständlich auf ihren Stuhl.
»Claire?«
»Merkwürdig war das.«
»Wer oder was war merkwürdig?«
Sie schenkte sich von dem milchigen Tee ein und trank in kleinen Schlucken. Dann musterte sie mich misstrauisch und wirkte irritiert, mich hier zu sehen. Vielleicht wusste sie nicht mehr, wer ich war. Sie trank einen weiteren Schluck, dann wurde ihr Blick wieder klar.
»Was war merkwürdig, Claire?«
»Der Graf! Da schimpfte der doch andauernd über die Ausländer und wollte am liebsten die Grenzen dichtmachen. Aber eine Putzfrau anstellen, an der rein gar nichts helvetisch war! Das ging dann ohne Probleme.«
»Sie kannten sie?« Ich versuchte, Claire auf der richtigen Spur zu behalten.
»Aber natürlich!« Sie schenkte jetzt auch mir vom Chai ein und winkte mich zu sich, indem sie bestimmt auf das Sitzkissen des Stuhls neben sich klopfte. »Rosa putzte jede Woche zwei Mal bei Graf, um zehn Uhr. Bevor sie mit der Arbeit begann, kam sie jeweils auf eine Tasse Kaffee zu mir rüber. Sie arbeitet da schon lange, wissen Sie. Ich habe Rosa vor Jahren bei ihrem ersten Termin kennengelernt, als sie die Adresse suchte. Ich stand gerade im Garten und führte sie dann zum Haus der Grafs. Der Tee schmeckt, nicht wahr?«
Ich bejahte, kehrte aber unverzüglich wieder zum Thema Rosie zurück, fest entschlossen, Claire keine Möglichkeit zur Gedankenflucht zu geben. »Und was war so merkwürdig?«
»Dass sie nicht kam! Sie hat in all den Jahren nie einen Termin versäumt. Seit Jahren kam sie montags und freitags, und eine halbe Stunde davor zum Kaffee zu mir. Pünktlich war sie, wie eine Schweizer Uhr, und zuverlässig. Doch gestern tauchte sie nicht auf. Ich hätte sie gesehen, morgens gucke ich immer aus dem Fenster. Ich hab mich gefragt, was wohl passiert sein konnte, aber dann ging das ganze Theater um den Alten los, und ich hab nicht mehr daran gedacht. Ich meine, das ist doch merkwürdig, oder? Ausgerechnet an dem Tag, an dem Graf stirbt, kommt sie nicht.«
»Ja, merkwürdig ist es in der Tat.«
»Als hätte sie es geahnt.«
Ich zog eine Packung Zigaretten aus der Jackentasche und sah meine Gastgeberin fragend an. Sie ließ mich mit einem Schulterzucken wissen, dass es ihr egal war. Flink schob sie mir einen Aschenbecher hin, der hinter der Blumenvase gestanden haben musste.
Claires letzter Satz gab mir zu denken. Hatte Rosie etwas mit Grafs Tod zu tun? Suchte Blanchard sie deswegen? Dass sie hier nicht aufgetaucht und stattdessen gleichentags verschwunden war, sprach dafür. Und sollte ich Blanchard ihren Aufenthaltsort verraten, wenn ich sie gefunden hatte? Allmählich wurde das zur Gewissensfrage. Einerseits wollte ich natürlich nicht, dass Rosie etwas geschah, andererseits brauchte ich das Geld. Dringend. Ich war bislang kein wahnsinnig erfolgreicher Privatdetektiv und Blanchard zahlte mehr als gut. Zu gut vielleicht, wie mir einmal mehr unangenehm auffiel. »Worüber haben Sie beim Kaffee denn so geredet?«
Claire lächelte schelmisch. »Das wüssten Sie wohl gerne. Frauengespräche halt, nichts, was einen Mann wie Sie interessieren könnte.«
»Ich wollte immer schon wissen, was Frauen unter sich so reden.«
»Papperlapapp! Lassen Sie uns über etwas
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