Lichterfest
die Bilder raus.«
»Ich werde sie heiraten.«
Ruckartig drehte ich mich zu José hin, jetzt war es an mir, ihn anzustarren.
»Es ist mir ernst. Sie ist die Frau, die ich insgeheim immer gesucht habe.«
Es dauerte einen Moment, bis ich meine Sprache wiederfand. »Bisher hattest du dieses Wort nicht einmal in deinem Wortschatz. Vielmehr hast du es gefürchtet wie Naomi Campbells Dienstmädchen das Telefon. Oder andere Wurfgeschosse.«
»Heiraten ist kein böses Wort, Vijay, nicht mehr, nicht für mich! Ich weiß, dass du …«
»Lass mich aus dem Spiel!« Ich wandte mich ab und fixierte trotzig die dunkle Truhe mir gegenüber, auf der eine rosafarbene Ganesha-Statue thronte. Ich war schockiert und verwirrt, auch wenn ich es nicht zugeben mochte.
»Wenn du meinst.« José legte einen Umschlag auf den Beistelltisch. »Hier sind die Fotos, die Fiona am Tatort in Grafs Haus gemacht hat. Ich muss die Bilder schnellstmöglich zurückgeben.«
»Wann?«
»Schnellstmöglich, sagte ich doch grad.«
»Nein, wann heiratet ihr?«
»Schnellstmöglich.«
»Bist du dir sicher?«
»So sicher wie noch nie. Sie ist es!« José strahlte mich kindlich an, als stünde Weihnachten vor der Tür und das größte Päckchen trüge seinen Namen. Gleichzeitig hatte er diesen grenzdebilen Gesichtsausdruck, wie man ihn nur bei Verliebten entdeckt. Oder höchstens noch bei Castingshowgewinnern.
Ich widerstand dem Drang, José durchzuschütteln, und fragte mich besorgt, wie sich das alles auf unsere Freundschaft auswirken würde. Würde er trotzdem ab und zu mit mir einen heben oder fortan, mit vorgehaltener Waffe gezwungen, zu Hause bei seiner Angetrauten bleiben? Würde er auf die Frage nach einem weiteren Drink plötzlich mit Nein antworten? Würde er sich einen Hund anschaffen und aufs Land ziehen? In eines dieser quietschbunten Reihenhäuschen an einer verkehrsberuhigten Quartierstraße in der Agglomeration, wo man im Sommer gemeinsam mit den Nachbarn grillte, Zucchini und Tomaten im Garten anpflanzte, im Winter silbrige Schneesterne auf die Fensterscheiben sprayte und den eingeschneiten Familienkombi eigenhändig frei schaufelte? Ich stöhnte.
»Was?« Gedankenverloren spielte José an dem Umschlag herum.
»Achtundvierzig Prozent aller Ehen werden geschieden.«
»Aber zweiundfünfzig bleiben zusammen.«
»Du betreibst Zweckoptimismus. Wäre das Konzept der Ehe eine Kaffeemaschine, käme nur knapp jeder zweite Kaffee genießbar heraus. Man würde sie vorbehaltlos entsorgen.«
»Deine Einwände sind lahm.«
»Ich zitiere nur Statistiken.«
José lehnte sich etwas vor. » Hombre, das sind trockene Zahlen. Es gibt genügend Leute, die sind auch ohne Trauschein glücklich. Wo tauchen die in deiner Statistik auf?«
»Und es gibt genügend Leute, die bleiben verheiratet und sind trotzdem unglücklich!«
»Was willst du damit sagen?«
»Keine Ahnung.«
Wir starrten uns sekundenlang an, dann begann José zu grinsen. Ich konnte nicht anders, als es ihm gleichzutun. Ich boxte ihn in den Oberarm, und er retournierte den Schlag unverzüglich, dann legte er mir seinen Arm um die Schulter.
»Und wenn du schon immer gern mal Patenonkel geworden wärst …«
»O nein, das darf nicht wahr sein!«
»Nun, ich meinte in absehbarer Zeit.«
»Du meinst, so wie die Schweiz in absehbarer Zeit zur Europäischen Union gehören wird?«
»Mir schwebt eher ein Zeitraum vor, der kürzer ist als meine Lebenserwartung.«
»Lass uns darüber reden, wenn es aktuell wird.«
»Du wärst sicher ein toller …«
»Zeig mir jetzt die Bilder, Papi! «
José schob mir den Umschlag zu. Schlagartig war mir nicht mehr zum Lachen zumute.
Auf den Bildern war die Küche der Grafs zu sehen. Mittendrin in dem weiten, offenen Raum erhob sich ein frei stehender Korpus, umrahmt von der modernen Einbauküche. Etliche Aufnahmen, die aus verschiedenen Winkeln geschossen worden waren, machten deutlich, dass darauf eine mit Orangen, Bananen und Äpfeln gefüllte Obstschale stand sowie diverse edel aussehende Öl- und Essigflaschen und eine Pfeffermühle.
» Haila! Ach du Scheiße!«, entfuhr es mir und ich betrachtete die Aufnahme eingehender.
»Was denn?« José lehnte sich neugierig herüber.
Ich war zu abgelenkt, um zu antworten. Stattdessen suchte ich mir die zwei besten Fotos heraus und legte sie beiseite.
Am einen Ende der Küche waren die untersten Stufen einer breiten Treppe zu erkennen, die offenbar zur Diele oder ins Wohnzimmer hinaufführten. Sie
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