Lichterfest
waren über und über mit Blut verschmiert, ebenso der Boden davor, wo sich eine schwarze Lache gebildet hatte. »Wo ist Graf?«
»Ich wollte dir die Bilder ersparen.«
»Nichts fürs Poesiealbum, nehme ich an?«
»Außer man hat wirklich absonderliche Klassenkameraden.« José tippte auf den Treppenabsatz. »Auf halber Höhe standen die beiden afrikanischen Krieger aus Holz. Darüber befinden sich Eingangsbereich und Diele. Er muss von oben her in die hochragenden Speere gestürzt sein.«
»Oder er wurde gestoßen.«
»Wovon die Polizei ausgeht. Die Balkontür wurde von außen eingeschlagen.«
»War Frau Graf allein, als die Polizei eintraf?«
»Nein, dieser Schluep war ebenfalls dort.« José kratzte sich den Stoppelbart »Was hältst du von ihm?«
»Ehrgeizig, über alle Maßen. Er war wie versessen hinter den Bildern her, was verständlich ist, angesichts der Tatsache, dass es auch um seine eigene Karriere ging. Doch es gab keinen Grund, weshalb er Graf hätte umbringen sollen. Er hätte mehr profitiert, wenn der am Leben geblieben wäre. Von ihm und auch von seiner Frau.«
»Wie meinst du das?«
»Alice Graf hat schon die Karriere ihres Mannes positiv beeinflusst. Jetzt, da ihr Gatte wohl ins Amt des Stadtpräsidenten gewählt worden wäre, hat sie sich um Martin Schlueps Zukunft gekümmert. Er war als Grafs Nachfolger vorgesehen.«
»Hatte die Partei auch etwas dazu zu sagen?«
»Kaum. Walter Graf hat schon lange die Politik der Partei bestimmt, alle anderen sind nur Randfiguren, Staffage, Hampelmänner.«
»Außer Alice Graf.« Ich deutete auf ein Foto, auf dem sie zu sehen war. Es musste kurz nach dem Eintreffen der Polizei gemacht worden sein. Ungewohnt kraftlos saß sie in einem Sessel, in ein sandfarbenes Kleid gehüllt. Sie war leichenblass und sah benommen aus.
José wiegte nachdenklich den Kopf. »Für Schluep gab es demnach keinen Grund, Walter Graf umzubringen.«
»Er wäre ziemlich bescheuert, wenn er es getan hätte.«
»Wo steckt er überhaupt?«
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Ich habe keine Ahnung.«
»Ich würde ihn gerne interviewen.«
»Der taucht sicher wieder auf. Die Frage ist nur, ob du ihn dann noch erkennst.«
»Was meinst du damit?«
»Sagen wir, er hat eine orientalische Nacht hinter sich.«
Ich inspizierte die zwei Bilder, die ich herausgesucht hatte, erneut. »Darauf war ich aus.« Ich deutete auf die Post und die Zeitung daneben, die vor der gefüllten Obstschale lagen. »Aber dann ist mir noch etwas viel Ungeheuerlicheres ins Auge gestochen.«
José betrachtete die beiden Aufnahmen interessiert und gab sie mir dann kopfschüttelnd zurück. »Mir fällt nichts auf.«
»Sieh dir den Poststapel an.«
José beugte sich erneut über das erste Foto. »Er ist verschoben, die einzelnen Umschläge sind etwas über die Arbeitsplatte geschlittert, als wäre die Post hastig hingeworfen worden.«
»Durch diese leichte Verschiebung erkennt man die einzelnen Briefe. Sechs sind es hier, dazu noch etwas Werbung.« Ich hielt ihm das andere Bild hin. »Und jetzt sieh dir dieses an. Nur wenige Minuten später aufgenommen. Die Zeitangabe steht mit drauf. Ein anderer Blickwinkel, Fiona ging es wahrscheinlich weniger um den Korpus im Vordergrund als um das Gesamtbild. Die Post ist nur zufälligerweise drauf.«
»Das aufgerissene Kuvert fehlt.«
»Genau das ist mir vorhin auch aufgefallen. Es ist wie bei Wer erkennt den Unterschied?. Hier sind es nur noch fünf Umschläge.«
»Jemand muss ihn entwendet haben, während die Polizei anderweitig beschäftigt war.«
»Nicht irgendjemand. Es können nur zwei Personen gewesen sein: Martin Schluep oder Alice Graf.«
»Aber weshalb haben die das gemacht?«
»Weil, wenn mich nicht alles irrt, in diesem Umschlag genau dieser Brief steckte. Zusammen mit den kopierten Fotos.« Ich holte das im Hotel Rothaus ausgedruckte Dokument hervor, welches Fernando zusammen mit den Kopien an die Grafs geschickt haben musste und in dem er das Politikerehepaar zu erpressen versuchte.
Er würde die Originalfotos an die Presse weiterleiten, schrieb er in dem anonymen Brief, falls sie nicht veranlassten, dass der Verkauf des Hauses an der Brauerstrasse rückgängig gemacht wurde oder die Bewohner zumindest das Versprechen erhielten, dass sie dort zu den alten Mietpreisen bleiben dürften.
»Rührend, aber auch unglaublich naiv. Da hätte sogar ein Anfängerdetektiv wie du innert kürzester Zeit rausgefunden, von wem der Brief stammt.«
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