Lichterspiele
gern mitgehen. Wenn du nicht wegfährst oder so.“
Er sah auf seine Hand, die Schachteln in vollendeter Perspektive auf die Schreibunterlage zeichnete. Er hörte Helens Stimme. Ihr habt alles mögliche gemeinsam. Interessen, Freunde, Lebensstil. „Robert?“
„Ja. Verzeihung. Nein, ich fahr nicht weg, und ich komme gern mit.“
„Wollen wir vorher bei mir essen?“
„Nein, wir gehen aus. Ich bestelle einen Tisch.“
„Ich freu mich, daß du's einrichten kannst.“ Er wußte, daß sie lächelte. „Ist Marcus schon zurück?“
„Nein, ich werde ihn gleich abholen.“
„Grüß ihn und Helen von mir.“
„Mach ich.“
„Dann bis Freitag. Wiedersehen.“
„Wiedersehen, Jane.“
Als er eingehängt hatte, stand er nicht von seinem Schreibtisch auf, sondern blieb sitzen, das Kinn in die Hand gestützt, und voll endete die letzte Schachtel. Als sie fertig war, legte er den Bleistift beiseite, griff nach seinem Glas, betrachtete die Zeichnung und fragte sich, wieso er dabei an eine lange Reihe Koffer denken mußte.
Marcus Bernstein kam durch die Glastür des Busbahnhofs und sah aus wie immer, wie ein Flüchtling oder Straßenmusikant. Sein Man tel hatte jede Fasson verloren, sein altmodischer schwarzer Hut hatte sich auf der Vorderseite aufwärts gebogen, sein langes, faltiges Gesicht war fahl vor Müdigkeit. Er trug seine ausgebeulte Akten tasche bei sich, aber seine Reisetasche war vom Flughafen im Ge päckraum des Busses mitgefahren. Als Robert ihn entdeckte, stand er geduldig an dem zirkulierenden Gepäckband und wartete auf die Tasche.
Marcus brachte es fertig, ärmlich und bedrückt auszusehen, und für einen zufälligen Passanten wäre es schwer zu glauben gewesen, daß dieser bescheidene, anspruchslose Mann in Wirklichkeit einen beachtlichen Einfluß in der Welt der Kunst beiderseits des Atlantiks besaß. Der gebürtige Österreicher hatte seine Heimatstadt Wien 1937 verlassen und war nach den Schrecken eines fremden Krieges wie eine helle Flamme über die Kunstwelt der Nachkriegszeit her eingebrochen. Seine offenkundigen Kenntnisse und sein Gespür fanden rasch Beachtung, und mit seiner Unterstützung junger Künstler gab er ein Beispiel, dem andere Händler alsbald folgten. Doch dem Laienpublikum wurde er eigentlich erst bekannt, als er 1949 seine eigene Galerie in der Kent Street mit einer Ausstellung abstrakter Werke von Ben Litton eröffnete. Ben, durch seine Vorkriegslandschaften und -portraits schon berühmt, hatte sich seit geraumer Zeit auf diese neue Kunstrichtung zubewegt, und die Ausstellung von 1949 war der Beginn einer beständigen Freundschaft, die allen persönlichen Stürmen und Querelen trotzte. Sie bezeich nete außerdem das Ende von Marcus' anfänglichen Kämpfen und den Start eines allmählichen, stetigen Aufstiegs zum Erfolg.
„Marcus!“
Er fuhr zusammen, drehte sich um, sah Robert auf sich zukommen und machte ein überraschtes Gesicht, als hätte er nicht damit gerechnet, abgeholt zu werden.
„Hallo, Robert. Das ist sehr lieb von dir.“
Nach dreißig Jahren in England hatte er immer noch einen starken Akzent, den Robert allerdings nicht mehr bemerkte.
„Ich wäre zum Flughafen gekommen, aber wir waren nicht sicher, ob du die Maschine gekriegt hast. Hattest du einen guten Flug?“
„In Edinburgh hat es geschneit.“
„Hier hat es den ganzen Tag geregnet. Ah, da ist deine Tasche.“ Robert schnappte sie vom Gepäckband. „Komm jetzt...“
Als sie im Auto warteten, daß die Ampel an der Cromwell Road umsprang, berichtete er Marcus, daß Mr. Lowell Cheeke wiederge kommen war, um den Litton mit den Hirschen zu kaufen. Marcus registrierte es mit einem Grunzen. Er machte den Eindruck, als hätte er von vornherein gewußt, daß der Verkauf lediglich eine Frage der Zeit sei. Die Ampel wechselte von Rot auf Gelb auf Grün, der Wagen fuhr an, und Robert sagte: „Und Emma Litton ist aus Paris zurück. Sie ist heute morgen herübergeflogen. Sie hatte kein englisches Geld, deshalb kam sie in die Galerie, um sich von dir einen Scheck einlösen zu lassen. Ich habe sie zum Mittagessen einge laden, ihr zwanzig Pfund gegeben und sie in ein Taxi zum Bahnhof gesetzt.“
„Wohin will sie denn?“
„Nach Porthkerris, zu Ben.“
„Ich vermute, er ist dort.“
„Sie schien anzunehmen, daß er da ist. Jedenfalls vorüberge hend.“
„Armes Kind“, sagte Marcus.
Robert erwiderte nichts darauf. Sie fuhren schweigend nach Hause, jeder in seine eigenen Gedanken
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