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Lichterspiele

Lichterspiele

Titel: Lichterspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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tan?“
    „Ich glaube nicht, daß wir Verspätung hatten. Vielleicht sind wir am Umsteigebahnhof verspätet abgefahren. Wir haben dort ziem lich lange gewartet. Woher wußtest du, mit welchem Zug ich komme?“
    „Die Galerie Bernstein hat mir ein Telegramm geschickt.“ Robert Morrow, dachte Emma. Wie nett. Ben warf einen Blick auf ihre Ta sche. „Du hast nicht viel Gepäck.“
    „Ich hab eine Wagenladung voll am anderen Ende des Bahn steigs.“
    Er drehte sich um und blickte kurz in die Richtung, die Emma wies. „Macht nichts. Wir holen es ein andermal. Komm, gehen wir.“
    „Aber es könnte gestohlen werden“, protestierte Emma. „Oder es könnte regnen. Laß uns lieber dem Träger Bescheid sagen.“
    Der Träger hatte unterdessen sein Schwätzchen mit dem Lokomotivführer beendet. Ben erklärte ihm die Situation. „Stellen Sie's irgendwohin, ja, wir holen es morgen ab.“ Er gab ihm ein Geld stück. Der Träger nickte. „Ja, Mr. Litton, keine Sorge, das mach ich schon“, und ging pfeifend den Bahnsteig entlang, während er das Geld in seine Westentasche steckte.
    „So“, sagte Ben, „worauf warten wir noch? Komm, gehen wir.“
    Keine Spur von einem Wagen oder Taxi, sie gingen einfach zu Fuß nach Hause. Sie nahmen eine Reihe kleiner Abkürzungen über eine steile Steintreppe, durch winzige abfallende Gassen, immer bergab, bis sie schließlich auf der hellerleuchteten Hafenstraße landeten.
    Emma, die neben ihrem Vater hertrottete, immer noch ihre Reisetasche in der Hand, da es ihm nicht in den Sinn gekommen war, sie ihr abzunehmen, sah Ben lange von der Seite an. Es war das erste Mal, daß sie ihn seit nahezu zwei Jahren sah, und sie fand, daß sich kein Mensch so wenig veränderte wie er. Er war weder dicker noch dünner geworden. Seine Haare, die schneeweiß gewesen waren, seit Emma zurückdenken konnte, waren weder gelichtet noch zurück gewichen. Sein vom jahrelangen Arbeiten in der Sonne, im Freien, am Meer gegerbtes Gesicht war tiefgebräunt und mit einem Netz feiner Linien durchzogen, die man keinesfalls als etwas so Prosai sches wie Falten bezeichnen konnte. Von ihm hatte Emma die star ken Backenknochen und das kantige Kinn, aber die blassen Augen mußte sie von ihrer Mutter haben, denn Bens Augen unter den struppigen Brauen waren tiefdunkel, von einem so dunklen Braun, daß sie bei bestimmtem Licht schwarz aussahen.
    Selbst seine Kleidung schien sich nicht verändert zu haben. Die ausgebeulte Kordjacke, die schmal geschnittene Hose, die Wild lederschuhe, ungeheuer elegant und uralt - sie hätten niemand an derem gehören können. Heute abend trug er ein Hemd aus ver blichener orangegelber Wolle; ein Baumwolltuch mit Paisleymuster diente als Krawatte. Eine Weste hatte er nie besessen.
    Sie kamen zu seiner Kneipe „The Sliding Tackle“, und Emma war halbwegs darauf gefaßt, daß er vorschlagen würde, auf ein Glas hin einzugehen. Sie wollte nichts trinken, aber sie war heißhungrig. Sie fragte sich, ob im Cottage wohl irgendwas zu essen vorhanden wäre. Sie fragte sich tatsächlich, ob sie überhaupt zum Cottage gingen. Es war durchaus im Bereich des Möglichen, daß Ben in seinem Atelier wohnte und erwartete, daß Emma sich dort bei ihm einquartierte.
    Sie sagte vorsichtig: „Ich weiß nicht mal, wo wir hingehen.“
    „Zum Cottage natürlich. Was dachtest du denn?“
    „Ich hatte keine Ahnung. Ich dachte, du wohnst vielleicht im Atelier.“
    „Nein, ich wohne eigentlich im Sliding Tackle. Ins Cottage geh ich jetzt zum erstenmal.“
    „Oh“, sagte Emma bedrückt.
    Er merkte die Veränderung in ihrer Stimme und beruhigte sie. „Es ist alles in Ordnung. Als sie im Sliding Tackle hörten, daß du kommst, meldete sich ein ansehnliches Aufgebot eifriger Damen, die das Haus für deine Ankunft vorbereiten wollten. Am Ende hat es Daniels Frau für mich besorgt.“ Daniel war der Mann an der Bar des Sliding Tackle. „Sie nahm offenbar an, daß nach so vielen Jahren alles mit Blauschimmel überzogen sein würde wie Gorgonzola.“
    „Und? War es so?“
    „Nein, natürlich nicht. Ein paar Spinnweben vielleicht, aber voll ständig bewohnbar.“
    „Das war lieb von ihr... ich muß mich bei ihr bedanken.“
    „Ja, das würde sie freuen.“
    Die kopfsteingepflasterte Straße stieg vom Hafen her steil an. Emmas müde Beine schmerzten. Plötzlich und ohne ein Wort der Erklärung nahm Ben ihr die Tasche ab.
    „Was hast du da drin, um Himmels willen?“
    „Eine Zahnbürste.“
    „Die wiegt so

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