Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
kroch der Wunsch zu flüchten durch jede Faser ihres Körpers. Ihr Blick glitt zur Tür. Es waren nur wenige Schritte bis dorthin. Gerade wollte sie ein Bein heben, um ihren Standort zu verlassen, da meldete sich noch eine andere Stimme aus einem Winkel ihres Bewusstseins.
Du kannst nicht fortgehen und ihn hier einfach liegen lassen. Er ist ein Mensch, er ist dein Vater. Was auch immer er getan hat, du musst deine Eltern ehren. Und du musst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Langsam ging Dana in die Knie, mit zitternden Fingern griff sie dem Vater erst ins Gesicht, dann an den Hals. Er atmete nicht. Danas Herzschlag beschleunigte sich, bis sie das Blut in ihren Ohren rauschen hören konnte. Er war tot.
Ich habe ihn getötet. Ich bin es schuld .
Dana wich vor dem leblosen Körper zurück und ließ sich zurück auf die Bank fallen. Minuten verstrichen, die Dana wie Stunden erschienen. Sie fühlte sich hilflos und lauschte immer wieder panisch in die Stille hinein, ob nicht doch einer der Nachbarn etwas bemerkt und die Polizei gerufen haben könnte. Dana ermahnte sich zur Ruhe. Sie kniff die Augen zusammen, stützte die Ellenbogen auf die Knie und legte den Kopf in die Hände. Sie musste jetzt Ruhe bewahren. Was hätte Jil getan? Der Gedanke an ihre Schwester tröstete Dana und half ihr, sachlich über ihre Situation nachzudenken. Wenn sie das Haus nun verließ, würde es lange dauern, bis jemand die Leiche in der Stube fand. Dass sie das Haus überhaupt verlassen musste, stand außer Frage. Vielleicht konnte sie es anzünden? Dana verwarf den Gedanken sogleich. Niemals würde sie es schaffen, sämtliche Spuren zu verwischen. Außerdem würde der Brand zwangsläufig Aufmerksamkeit erregen. Die Polizei würde sogleich mit ihren Ermittlungen beginnen. Zudem es alles andere als christlich gewesen wäre, vor der Verantwortung davonzulaufen. Dana fühlte sich zerrissen. Sie schluchzte. Sie wollte nicht ins Gefängnis.
Gott, vergib mir .
Dana entschied sich dafür, den Tod des Vaters so lange wie möglich geheimzuhalten. Er war ein Säufer und hatte keine Freunde. Niemand würde ihn vermissen.
Dana erhob sich von der Bank, sämtliche Glieder waren ihr bereits eingeschlafen. Sie ging zur Tür hinüber und betrat den Hof. Hohe Tannen verwehrten den direkten Blick auf das Grundstück der Nachbarn. Es war still. Eine erneute Welle der Panik durchflutete Dana, sie musste sich übergeben. Sie wollte schluchzen und heulen, aber diese Gefühle waren plötzlich wie abgestorben. Sie ging zurück ins Haus, eilte die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf, zog sich frische Kleidung an und packte einige wenige Habseligkeiten in einen kleinen Rucksack. Dann kehrte sie zurück in die Stube. Der Anblick des toten Vaters erfüllte sie mit Grauen. Sie benötigte mehrere Anläufe, um ihn unter den Armen zu fassen und herum zu drehen. Beinahe hätte sie geschrieen, als sein Kopf wie der einer Puppe nach hinten kippte. Eine seiner Gesichtshälften war blutverschmiert. Danas Stirn war mit kaltem Schweiß überzogen, ihre Finger waren ebenfalls feucht und kalt. Es war einfach, von Tugend und Sitte zu sprechen, wenn man selbst nicht in eine solche Situation geriet. Es war eine Prüfung, aber Dana würde versagen, weil sie feige war.
Langsam zerrte sie ihren Vater zur Tür. Sie steckte ihren Kopf als erstes hindurch und sah sich nach allen Seiten hin um. Der Hof lag friedlich vor ihr.
Sie schleifte die Leiche ihres Vaters bis zu der Klappe im Boden, unter der sich ein geheimes Vorratslager des Hauses befand. Als sie noch Kinder waren, hatten Jil und Dana hier oft gespielt.
Dana ließ die Leiche zu Boden sinken und griff nach dem Griff der Klappe. Blätter und Moos bedeckten sie fast vollständig. Ein Fremder hätte dieses Lager vermutlich nie gefunden. Dana wuchtete die schwere Holzklappe nach oben. Ein muffiger Geruch schlug ihr entgegen. Das Lager war etwa zwei Meter tief und eben so breit an den Seiten. Mit dem Kopf voran stieß sie den toten Körper hinein. Sie konnte selbst nicht fassen, welche Schuld sie sich gerade auflastete. Seltsamerweise war die Angst vor der Polizei noch größer als die Angst vor Gottes Rache. Zumindest für den Moment.
Mit einem dumpfen Geräusch schlug die Leiche auf dem Boden auf. Schnell schloss Dana die Klappe wieder und bedeckte sie mit Blättern und Erde. Sie wollte diesen Tag aus ihrer Erinnerung verbannen. Sie musste sich von dieser Tat distanzieren. Jil hätte es nicht anders gemacht.
Dana nahm ihren
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