Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
Rucksack auf, ging zum Gartentor und trat auf die Straße, als sei nichts geschehen.
Ich kann nie wieder zurückkehren .
Ab jetzt würde ihr Leben eine neue Wendung nehmen. Dana wusste, dass sie von nun an nur überleben konnte, wenn sie bettelte, stahl oder ihren Körper verkaufte. Sie wünschte sich in diesem Moment, sie würde an des Vaters Stelle tot im Vorratslager liegen. Dies war, was sie verdiente.
*****
Die Männer der Stadtwache blickten Jil einen Augenblick lang aus irritierten Gesichtern an. Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, einen blinden Passagier bei einer ihrer Routinekontrollen zu entdecken. Jil wühlte sich aus dem Heu heraus. Frische Luft drang an ihre überhitzte Haut, sie fröstelte. Ihre Muskeln waren angespannt und jederzeit zum Sprung bereit, doch die Soldaten reagierten unerwartet gelassen. Der Mann, der Emil den Befehl zum Öffnen der Abdeckung gegeben hatte, räusperte sich.
»Wer ist das?« Er wandte sich an Emil, der mit geweiteten Augen neben dem Wagen stand und sich überrascht gab.
»Ich… hab’ keine Ahnung, ehrlich«, stammelte er.
»Hast du Papiere für sie dabei? Hat sie eine Aufenthaltsgenehmigung?« Er blieb ruhig und stand stocksteif da, Soldat durch und durch.
»Ich kenne die Frau nicht. Sie muss sich in den Wagen geschlichen haben.« Emils Augen zuckten nervös von einem Soldaten zum nächsten. Ein anderer Mann kam näher. Jil entging nicht, dass seine rechte Hand auf dem Halfter seiner Pistole lag. Seine Augen fixierten Jil.
»Ist das wahr?«, fragte er an sie gewandt.
Jil erinnerte sich an die Abmachung zwischen ihr und Geri, nach welcher sie die Verantwortung allein übernehmen musste, falls man sie entdeckte. Das Strafmaß würde sich für Jil ohnehin nicht verringern, selbst wenn sie Emil in diese Abgelegenheit hineinzog.
»Ja«, sagte sie schließlich. »Ich habe mich auf den Wagen geschlichen.«
Der Mann, der neben Emil stand, nickte. Er strich sich über den Schnauzbart und wies seine Kollegen an, zu ihm neben den Wagen zu treten.
»Dann nehmt sie fest«, sagte er mit befehlsgewohnter Stimme. »Wir führen sie dem Richter vor.«
Als wäre Jil durch seine Worte aus einem tiefen Schlaf erweckt worden, regten sich nun ihre Lebensgeister. Mit einem Satz war sie von dem Wagen herunter gesprungen und rannte weiter die Straße entlang, geradewegs auf den Wald zu. Wertvolle Sekunden verstrichen, ehe die Soldaten begriffen, was geschehen war.
Jil rannte, so schnell sie ihre Beine trugen. Sie war schon immer eine hervorragende Läuferin gewesen, sowohl in Bezug auf Schnelligkeit als auch auf Ausdauer.
Die Schritte der Soldaten entfernten sich hinter ihr, aber Jil wagte es nicht, sich umzudrehen. Die Männer trugen schwere Uniformen, die sie beim Laufen behinderten, aber sie waren bewaffnet. Jil durfte sich keine Unaufmerksamkeit erlauben. Dann ertönte der erste Schuss, vermutlich ein Warnschuss, denn Jil konnte in ihrer unmittelbaren Umgebung keine Einschussstelle ausmachen.
»Bleib stehen!«, brüllte einer der Männer aus voller Kehle. »Wir sind befugt, dich zu erschießen!«
Jil dachte nicht daran, die Flucht aufzugeben, stattdessen bemühte sie sich, noch schneller zu laufen. Ihre Lungen brannten und ihre Beine fühlten sich an, als seien keine Knochen mehr darin. Die Bäume rechts und links der Allee flogen an ihr vorbei. Während des Laufs ließ Jil den schweren Mantel hinter sich fallen. Augenblicklich hüllte Kälte sie ein, sie war nass geschwitzt.
Die Straße machte eine Biegung nach links, doch Jil rannte weiter geradeaus auf eine Wiese. Der Untergrund war uneben, zahlreiche Löcher und Erdhügel konnten sie jederzeit zu Fall bringen.
Dies gilt aber auch für die Soldaten der Stadtwache .
Sie machte große Schritte, schlug Haken wie ein Kaninchen und steuerte geradewegs auf eine Baumgruppe zu. Sie wusste, dass es auf einer kleinen Insel kaum Möglichkeiten gab, dauerhaft unterzutauchen. Neben dem bebauten Gebiet innerhalb der Ringstraße gab es nur diesen kleinen Wald, in dem Jil sich verstecken konnte. Wenn es ihr nicht gelang, die Soldaten abzuhängen, würden ihre schmerzenden Beine sie bald dazu zwingen, aufzugeben.
Ein weiterer Schuss ertönte, diesmal schlug die Kugel in den Stamm einer krüppeligen Kiefer ein, keinen Meter neben Jil. Jetzt wurde es ernst, die Soldaten würden sie eher erschießen, als sie entkommen zu lassen.
Plötzlich tauchte einer von ihnen direkt neben Jil auf. Er war aus einem Brombeergebüsch
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