Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
das ausgesprochen mutig.«
Xavier erhob sich und sagte mit hämischem Kichern: »Dich würde ich gern mal in Reithosen peilen, Schwesterherz.«
Mit einer Miene, die nichts Gutes verhieß, wollte Dani sofort aufstehen, doch seine Mutter legte ihm eine Hand auf den Arm, was wie eine Fessel wirkte.
»Ich glaube nicht, dass Sie das wirklich möchten, mein Herr«, sagte Telmaine. Mit ihrer frühreifen Figur, ihrem liebevollen Wesen und einer Familie, die herzlich wenig Interesse an der Sicherheit und dem Glück eines Mädchens zeigte, hatte Sylvide unter weitaus mehr Anmaßungen und Einmischungen zu leiden gehabt, als sie verdiente. Xavier war zwar eher überheblich als niederträchtig, aber dennoch würde er so etwas nicht zu einer Frau sagen, die er respektierte – wie Telmaine zum Beispiel. Sie lächelte ihm lieblich in sein verschlafenes Gesicht und langte mit ihrer Magie einmal quer über den Tisch. »Wie ich höre, ist Ihre Schwägerin eine vortreffliche Schützin.« Ein geschickter, innerlicher Knuff – dazu brauchte es nicht viel – genügte, dass Xavier sich vom Tisch abstieß und mit vor den Mund gehaltener Hand davonstolperte. Es bereitete ihr eine diebische Freude, als zwei Lakaien hastig angelaufen kamen und ihn in einen Nebenraum führten.
›Das hätten Sie nicht tun dürfen.‹
Ihr gefror das Blut in den Adern. Die Stimme hatte die kristallklare Schärfe eines Lichtgeborenen, und die Berührung, so kurz sie auch war, strahlte enorme Macht aus.
»Telmaine«, sagte Sylvide.
Mit festem Griff hielt sie sich am Tisch fest, um zu verhindern, dass sie womöglich aufsprang. ›Wer sind Sie?‹
Telmaine bekam keine Antwort. Für einen Moment kämpfte sie gegen den Drang, die Flucht zu ergreifen – aber wohin hätte sie schon fliehen können, wenn die Tempelwache der Lichtgeborenen sie bereits aufgespürt hatte? Ein Wimmern wollte ihr entweichen – sie schluckte es herunter.
»Telmaine!«, zischte Merivan quer über den Tisch. »Nimm dich zusammen!«
»Daniver«, sagte Herzogin Calliope um einiges vernehmlicher. »Setz dich. Es reicht zur Genüge, wenn sich einer von euch unmöglich aufführt.«
Sylvide wandte sich um und nahm Telmaines Hände in die ihren. »Telmaine, Liebes, was ist mit dir, bist du krank?«
Ganz bestimmt verlor sie den Verstand. Ganz bestimmt hatte sie sich – aufgrund der psychischen Belastung – die Stimme in ihrem Kopf nur eingebildet. Hätte Sylvide nicht ihre Hände gehalten, hätte sie am Zeigefinger ihres Handschuhs herumgeknabbert. Stattdessen biss sie sich von innen auf die Lippe, bis sie den Geschmack von Salz und Eisen auf der Zunge spürte.
»Du hast ein paar wirklich schlimme Tage hinter dir«, sagte Sylvide voller Mitgefühl. »Ich weiß.«
Die aufdringliche Stimme blieb stumm. Telmaines Atem ging wieder gleichmäßiger, es gelang ihr sogar, Sylvide anzulächeln. »Sag«, bat sie und hatte ihre Stimme dabei nahezu unter Kontrolle, »was sind das für Absurditäten, die die Zeitungen über meinen Ehemann verbreiten?«
Auf der anderen Seite des Tisches sog Herzogin di Reuther hörbar die Luft ein ob der Dreistigkeit, dieses Thema derart schamlos zur Sprache zu bringen.
Sylvides Lächeln geriet ins Wanken. »Sie behaupten, dass er … , dass er … , oh, Telmaine, musst du mich das denn fragen?«
»Es tut mir leid, meine liebe Sylvide, aber wie sonst soll ich wissen, welchen Unsinn ich zu widerlegen habe? Zu ihm kam eine Dame in Not; er hat ihr geholfen. Sollte das etwa ein Grund sein, ihn zu verurteilen?«
»Das ist«, sagte Herzogin Calliope abweisend, »für diesen Frühstückstisch wohl kaum ein angemessenes Gesprächsthema.«
Telmaine stützte die Hände neben ihrem Teller ab und beugte sich vor. »Und warum nicht? Warum darf an diesem Tisch jeder hinter vorgehaltener Hand irgendwelche Verleumdungen aussprechen, aber mir soll es verboten sein, die Wahrheit zu sagen? Mein Mann ist unschuldig.«
»Wo ist er denn dann?«, fragte Dani.
Sie atmete tief ein. »Balthasar erledigt einen Auftrag des Fürsten Vladimer persönlich.«
»Wie opportun«, bemerkte Herzogin di Reuther eisig.
»Ganz und gar nicht«, sagte Telmaine mit Nachdruck. »Ich hätte es viel lieber, er wäre hier, statt für diesen Auftrag sein Leben und seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen.«
»Gemeinsam mit Ishmael di Studier«, sagte die Herzogin. »Die Zeitungen berichten, dass er gemeinsame Sache macht mit diesem … Magiker.«
»Baron Strumheller ist kein Hexer. Da« – sie zeigte in
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