Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
sich draußen aufhielten, Zuflucht gefunden hatten oder bereits tot waren.«
»Was ist passiert?«
»So weit ich weiß, wurde mit einer Kanone auf den Turm geschossen, einer Kanone der Nachtgeborenen, vom anderen Flussufer her. Ohne Vorwarnung. Der Schaden ist … « Er deutete nach oben, an der mächtigen Flanke des Turmes hinauf, die im Dunkeln lag, bis auf jene Stellen, an denen Licht durch die Lücken im Mauerwerk schien, durch geborstene Steine oder zertrümmerte Fenster.
Eine ungehaltene, herablassende Stimme in Tams Kopf sagte: Du bist noch lange nicht fertig. Sein Kopf zuckte hoch, seine Magiersinne tasteten nach der Lebensenergie, die zu dieser Stimme gehörte, und fand Punkte eisiger Antipathie über den Platz verstreut, Fragmente der mit schattengeborener Magie durchwirkten Granaten. Ein Schauer durchfuhr ihn.
Fejelis drückte noch einmal Tams Schulter. »Ich werde ihnen Zuflucht gewähren. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.« Und an jemand anderen gerichtet, den Tam nicht sehen konnte: »Pass bitte auf ihn auf.« Tams Augen folgten Fejelis’ schlaksiger Gestalt, als dieser sich einen Weg über die Trümmer bahnte, hinüber zu einer Gruppe, in der Tam die wenigen überlebenden Hohen Meister erkannte. Dann blieb Fejelis mit dem Fuß an einem magiedurchtränkten Fragment hängen und stolperte, seine Lebensenergie flackerte. Tam sprang auf, um Magie und Materie gleichermaßen zu zerstören. Der Hauptmann der Garde hob den Prinzen hoch und riss ihn davon weg. Sie stritten kurz, wobei der Gardist zum Palast hinüber deutete und Fejelis zu den Magiern. Fejelis behielt die Oberhand.
Tam wandte sich um, breitete sein Bewusstsein aus, ortete jedes mit dieser tödlichen Magie verseuchte Fragment. Am liebsten hätte er sie zertreten und zu Staub zerrieben. Jedes einzelne wollte er aufheben und dessen aussichtslosen Angriff spüren, bevor er es vernichtete. Das war jedoch ein Luxus, den er sich nicht gönnen durfte, denn er wusste, dass er sich zuerst um die kümmern musste, die Leben bedrohten.
Eine Frauenstimme sagte: »Was tun Sie da?«
Perrins vom Staub gereizte Silberaugen tränten. Das seidige Nachthemd klebte an ihrem langen, schlanken Leib. Ihre nackten Zehen krümmten sich auf dem Stein. »Ich kann sie spüren. Ich kann spüren, wie sie Leben aussaugen.« Ihre Stimme bebte, und wie Fejelis hielt auch sie weitere Worte zurück, um sich nicht anmerken zu lassen, dass sie sonst die Fassung verlieren würde.
Heiser sagte er: »Das erkläre ich Ihnen später.«
Sie nickte und wischte sich die Augen. »Ich habe gesehen, wie Sie Magister Lukfer heruntergebracht haben. Es tut mir so leid. Ich bin ihm nur dieses eine Mal begegnet. Ich mochte ihn.«
Ihre mädchenhafte Unschuld rührte ihn, so absurd es auch war, etwas Triviales wie Zuneigung für diesen toten Giganten – menschlich wie magisch – zu bekunden. Er sagte: »Solange ich beschäftigt bin … würden Sie auf Fejelis achten?«
»Fejelis?«
»Wir haben einen Vertrag geschlossen. Also ernenne ich Sie zu meiner Stellvertreterin, während ich mich … «, zwei weitere Fragmente barsten in den Trümmern, »darum kümmere. Nicht anfassen. Ich will nicht … « Stattdessen ließ er sie lieber auf magische Weise wissen, worum es sich hier handelte. Es fiel ihm leichter, seine Erinnerung an das Attentat auf Fejelis’ Ableben mit ihr zu teilen. Vielleicht wäre sie stark genug, mit dieser schattengeborenen Magie fertig zu werden, aber vielleicht auch nicht, und er hatte weder die Kraft noch die Zeit, sie zu beschützen. Erschrocken richtete sie sich auf und wandte ihren Kopf dem Bruder zu.
»Heilige Muttermilch«, hauchte sie.
Er sah, wie sie mit schmerzenden Füßen zu Fejelis stolperte, und machte sich wieder an sein grimmiges Werk.
Telmaine
Kingsley – Kip – führte sie durch die alten, unterirdischen Straßen von Minhorne, einst die alltäglichen Wege der Nachtgeborenen. Bei einem Geburtstagsausflug waren Telmaine und ihre kleinen Freunde einmal kichernd auf einem der majestätischsten Beispiele für nachtgeborene Restaurationskunst herumgeführt worden, einem unterirdischen Platz, so groß wie die Halle des Bolingbroke-Bahnhofs. Hier, in einer erheblich ärmeren Gegend, konnte sie der Verfall jedoch nicht schockieren, nachdem sie Ishmaels Bericht seiner unterirdischen Flucht aus dem Feuer der Flussmark gehört hatte. An manchen Stellen mussten sie knöcheltief durch stinkenden Morast waten, was Merivan würgen ließ und Telmaine
Weitere Kostenlose Bücher