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Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren

Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren

Titel: Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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unfreiwillig daran erinnerte, wie Balthasar die Vernachlässigung der Abwasserkanäle in der Flussmark angeprangert hatte. An anderen Stellen hatte man Bretter ausgelegt, sogar einen Bohlenweg gebaut, nur waren die Bretter wacklig und der Bohlenweg klapprig. Auf manchen Strecken hatte man die Tunnel der Länge nach mit Stein aufgeschüttet, um trockenen Fußes hindurchzukommen, und den Rest verfallen lassen. Und auf dem ganzen Weg mussten sie über die Trümmer aufgebrochener, ehemals zugemauerter Eingänge steigen, bisweilen sogar klettern.
    Merivan merkte laut an, dass einige der Trümmer aus jüngerer Zeit zu stammen schienen, da der Schutt und die Bretter noch nicht verwittert waren.
    »Ja«, sagte Kip. »Seit dem … seit dem Brand westlich von hier wollen sich alle einen Fluchtweg sichern.«
    Mittlerweile waren sie nicht mehr allein, sondern begegneten Leuten, die in kleinen oder größeren Gruppen in den Tunnel traten und Passanten ansprachen, um etwas über den Lärm herauszufinden, den sie draußen gehört hatten. Kip wehrte ihre Anfragen in der deftigen Ausdrucksweise der Flussmark ab. Immer weiter ging es, Biegung auf Biegung, Tunnel auf Tunnel, und als sie schließlich stehen blieben, standen sie vor einem der durchbrochenen Eingänge, der sich in nichts von all den anderen unterschied, an denen sie bisher vorbeigekommen waren.
    »Hier ist die Pension, in der ich gewohnt habe, nachdem die Flussmark niedergebrannt war«, hörte sie Kip sagen. »Es ist kein Ort für Damen von Ihrem Stand. Im Grunde ist es überhaupt kein Ort für Damen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Das verstehe ich ganz gewiss nicht«, sagte Merivan so barsch, dass die Lüge nicht zu überhören war. »Doch das Sprichwort heißt: ›Im Sturm ist jeder Hafen recht‹, nicht wahr?«
    »Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was man so hört«, sagte Kip, »dann trifft das auf einen Teil der Scallon-Inseln bestimmt nicht zu.«
    Merivan schnaufte nicht ohne Anerkennung. »Seien Sie so freundlich, uns hineinzuführen und vorzustellen.«
    Es war ein Logierhaus, in dem, wie Telmaine bald schon begriff, Ishmael di Studier jüngst einige Zimmer gemietet hatte, die an den entlassenen Apotheker übergegangen waren. Der kraftlose alte Mann, der sie begrüßte, beeilte sich, sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass er zu seiner Zeit in den Theatern gefeiert worden war, und versprach, ihnen seine Erinnerungsstücke vorzuführen. Trotz seiner müden Art und seiner theatralischen Gesten organisierte er seinen Haushalt eilig entsprechend ihren Bedürfnissen, öffnete den Schwestern eine freie Suite und teilte dem Kutscher ein Zimmer zu. Nur Kips vorsichtiges »Ruther, wo ist Seifried?« störte seinen Redefluss. »Du lieber Himmel, ich weiß es nicht. Er ist ausgegangen. Wir können nur hoffen.«
    Und so fand sich Telmaine allein mit ihrer Schwester wieder, in einem Wohnzimmer im Obergeschoss, vollgestopft mit demselben schäbigen Tand wie der Rest. Durch die Wände hörte sie das unablässige Läuten der Alarmglocke, ansonsten jedoch kaum etwas – keine Stimmen von draußen, kein Klappern von Kutschen auf Pflastersteinen, kein Wiehern der Pferde. Merivan schenkte ihr Tee in eine überraschend zierliche Tasse ein und stellte sie vor Telmaine. Der Duft presste ihr das Herz zusammen. Es war dieselbe bittere Sorte, die Bal so gern trank. Mit beiden Händen hielt sie die wärmende Tasse umklammert. Merivan nippte, verzog das Gesicht und stellte ihre Tasse ab. » Nun , Telmaine … «, sagte sie.
    »Willst du es wirklich hören?«, fragte Telmaine. Ihre Stimme krächzte, als wäre sie länger als nur einen Abend ungenutzt geblieben.
    Merivan wirkte irritiert, als merkte sie, dass sie aus Gewohnheit darauf bestanden hatte. Gelangweilt und herrisch versuchte sie schon seit langem, ihre Schwestern wie ihre Kinder zu bevormunden.
    »Merivan«, sagte Telmaine langsam. »Meine kluge Schwester. Hättest du doch nur getan, was deinem Talent entspricht. Aber du musstest den Mann heiraten, der du selbst gern gewesen wärst. Mehr zu wollen, würde bedeuten, sich zum Objekt des Spottes und grausamer Witze zu machen. Also bekämpfst du deine Langeweile, indem du schwanger bleibst, obwohl du die Eintönigkeit des Austragens noch mehr hasst, als du das Wochenbett fürchtest.«
    »Telmaine«, sagte Merivan, »was ist in dich gefahren?«
    »Was glaubst du, was passiert ist?« Sie stellte ihre Frage sanft, um das Entsetzen nicht noch zu schüren: »Beim

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