Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
Der Sekretär des neuen Prinzen erschien in der Tür für die Minderprivilegierten, kam schnellen Schrittes zu ihr herüber und bat sie, ihm zu folgen, da sie bereits erwartet würde. Er war ebenfalls ein Südländer, jedoch einer, der seine Heimat und seine Loyalitäten hier gefunden hatte – er trug Volltrauer, und sein übernächtigtes Gesicht zeugte von ehrlich empfundenem Schmerz.
Während sie noch auf die Tür der Minderprivilegierten zugingen, wurde plötzlich die der Höherprivilegierten kraftvoll aufgestoßen, und Helenja höchstselbst stürmte heraus, gefolgt von vier ihrer persönlichen Leibwächter. Sie war eine kräftige Frau, gekleidet in die stark strukturierten, erdfarbenen Gewänder der Südländer. Dass die Prinzenwitwe keinerlei Zugeständnisse bezüglich einer adäquaten Trauerkleidung machte, etwa in Form von purpurroten Bändern an Armen und Hüften, überraschte Floria nicht im Geringsten. Helenja würde ihre Anhänger sicher nicht dadurch verstimmen, dass sie ihren Ehemann in aller Öffentlichkeit betrauerte, ganz gleich, wie es in ihrem Inneren aussehen mochte.
Dafür war ihr Gesicht puterrot. »Du begehst einen großen Fehler!«, schleuderte sie über ihre Schulter zurück – was einen leicht absurden Anblick bot, da direkt hinter ihr einer der Wachmänner lief. Und als sie Floria bemerkte, starrte Helenja sie feindselig an. »Wenn meinem Sohn irgendetwas zustößt … «
Floria verneigte sich kurz und erahnte bereits, was geschehen war: Fejelis hatte die Prinzenwitwe von seinen persönlichen Beratungen ausgeschlossen. »Euer Sohn, Hoheit? Ich denke vielmehr, dass es sich darinnen um einen Prinzen handelt.«
Ob es der Wahrheit entsprach oder lediglich geschickt formuliert war, die Verärgerung in Helenjas Gesicht verschaffte Floria einige Genugtuung. Sollte diese Frau in irgendeiner Weise an Isidores Tod beteiligt gewesen sein, würde Floria ihr Recht in Anspruch nehmen, für ihre rechtmäßige – und nach Florias Verständnis überfällige – Absetzung zu sorgen.
Sie schlüpfte durch die Tür der Minderprivilegierten, als Helenja gerade Orlanjis zur Rede stellte: »Was treibst du denn hier?« Oh, sie musste wirklich aufgebracht sein, wenn sie in aller Öffentlichkeit sogar ihren Liebling dermaßen zurechtwies.
Dann blieb Floria stehen, auf der Hut. Fejelis war ganz allein im Raum. Damit hatte sie nicht gerechnet. Langsam entfernte sie sich von der Tür und stellte sich rücklings an eine Wand, von der sie wusste, dass sie massiv war. Konnte das alles – die Drohung der Witwe, der Umstand, dass er allein war – Teil eines Plans sein? Würde sie mit einem Dolch oder einem Pfeil niedergestreckt werden, sobald sie eine falsche Bewegung machte, die auch nur im Entferntesten einen Racheakt befürchten ließ? Im Grunde musste sie sich nicht einmal bewegen. Sein Wort stünde gegen ihre stillschweigende Leiche.
»So etwas funktioniert nur einmal«, sagte Floria ruhig. »Vielleicht sollten Sie diese Möglichkeit nicht an mich verschwenden.«
Der junge Prinz betrachtete sie festen Blickes, zeigte weder Verständnis noch Verwirrung. Seine Miene wirkte gefasst, doch war er blass, was durch den Kontrast zu seiner purpurroten Volltrauer noch verstärkt wurde. Er hatte einen nordländischen Teint, was ihrer Ansicht nach von Vorteil war, und die Augen seines Vaters, so silbern und undurchschaubar wie Spiegel. Auf seinem Kopf fehlte die Prinzenhaube, und das blonde Haar lag ein wenig zerzaust. Seine Körpergröße entsprach der eines Südländers, aber seine dürre Gestalt war noch nicht gänzlich ausgewachsen. Angesichts seiner notorischen Unentschlossenheit in Bezug auf Wortwahl und Auftreten rechnete man ständig damit, dass er ins Stocken geriet, ohne jedoch zu bemerken, wenn es letztlich doch nicht dazu kam. Wie vielen Menschen mochte wohl bekannt sein, wie hart er daran gearbeitet hatte, sich diese Unentschlossenheit in seinem salle , dem verspiegelten Fechtsaal, abzutrainieren?
Mit der Zeit würde sich die gebührende Entschlossenheit schon noch herausbilden, dachte sie – zumindest, wenn er lange genug lebte. Er schwang bereits jetzt eine kräftige Klinge, mit einem tödlichen Vorteil in der Reichweite, und um seinen Hals hing der Talisman, der Kugeln aller Art ablenkte. Es blieb jedoch abzuwarten, ob er sich der Loyalität derer sicher sein konnte, auf die es ankam – abzuwarten, wer seine wahren Verbündeten waren.
Eingedenk der vielen Ohren vor der Tür sagte er: »Zunächst
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