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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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verschwunden. In einem Augenblick hatte sich alles verändert. Der Schnee war noch da, aber er häufte sich nicht auf Dächern, lag nicht flach auf Wiesen und Feldern. Es waren nur Bäume da.
    Will blickte über einen großen, weißen Forst: einen Forst aus dicken Bäumen, die stark wie Türme waren und steinalt. Sie trugen kein Laub, waren nur mit dem dichten Schnee bekleidet, der unberührt auf allen Ästen lag, auf dem kleinsten Zweig. Überall standen Bäume. Sie wuchsen so nahe beim Haus, dass er durch die Zweige des nächsten hindurchsah; er hätte sie fassen und schütteln können, hätte er gewagt, das Fenster zu öffnen. In allen Richtungen erstreckte sich der Wald bis zum flachen Horizont des Tales hin. Die einzige Lücke in dieser weißen Welt aus Zweigen lag im Süden, wo die Themse floss; er erkannte die Flussbiegung, die wie eine einzelne festgehaltene Welle im weißen Ozean des Waldes zu sehen war, und die Form dieser Linie ließ vermuten, dass der Fluss breiter war, als er eigentlich hätte sein sollen.
    Will schaute und schaute, und als er sich schließlich bewegte, merkte er, dass er den glatten Eisenring, durch den er seinen Gürtel gezogen hatte, fest umklammerte. Das Eisen fühlte sich warm an.
    Er trat ins Schlafzimmer zurück.
    »Robin«, sagte er laut, »wach auf!« Robin atmete langsam und gleichmäßig wie zuvor, rührte sich aber nicht.
    Er lief ins Schlafzimmer nebenan, das vertraute kleine Zimmer, das er früher mit James geteilt hatte, und schüttelte James heftig. Aber James blieb regungslos, in tiefem Schlaf, liegen.
    Will trat wieder auf die Diele hinaus, tat einen tiefen Atemzug und schrie dann, so laut er konnte: »Wacht auf! Wacht alle auf!«
    Er erwartete jetzt schon keine Antwort mehr und es kam auch keine. Tiefe Stille herrschte, so tief und zeitlos wie der Schnee, der alles bedeckte; das Haus und alle darin lagen in tiefem Schlaf.
    Will ging nach unten, um seine Stiefel anzuziehen und die alte Schaffelljacke, die vor ihm nacheinander zwei oder drei seiner Brüder getragen hatten. Dann ging er zur Hintertür hinaus, die er leise hinter sich schloss, stand da und hielt durch den schnell hochsteigenden weißen Dampf seines eigenen Atems hindurch Ausschau.
    Die freie weiße Welt lag in Schweigen gebannt. Kein Vogel sang. Der Garten war unter den Bäumen verschwunden. Auch die Nebengebäude und die alte bröckelige Mauer waren nicht mehr da. Das Haus lag auf einer kleinen Lichtung. Da, wo die Bäume begannen, war der Schnee zu einer ununterbrochenen Kette von Hügelchen aufgeweht. Ein einziger schmaler Pfad führte hindurch.
    Will ging langsam in diesen weißen Tunnel hinein, hob dabei die Füße, damit ihm kein Schnee in die Stiefel kam. Sobald er sich vom Haus entfernte, überfiel ihn ein Gefühl tiefer Einsamkeit. Er zwang sich vorwärts zu gehen, ohne einen Blick zurückzuwerfen, denn er wusste, wenn er sich umschaute, würde das Haus nicht mehr da sein.
    Alles, was ihm in den Sinn kam, nahm er, ohne nachzudenken, und ohne eine Frage an, so, als bewegte er sich durch einen Traum. Aber tief im Innern wusste er, dass er nicht träumte. Er war hellwach an diesem Wintersonnwendtag, auf den er — irgendwie wusste er das — seit dem Tag seiner Geburt, nein, seit Jahrhunderten gewartet hatte.
Wie es morgen sein wird, das kann man sich gar nicht vorstellen...
    Will trat aus dem weiß überwölbten Pfad auf die Straße, die mit einer glatten Schneeschicht bedeckt und dicht von den großen Bäumen gesäumt war. Er blickte zwischen den Zweigen hindurch nach oben und sah eine einzelne schwarze Krähe mit langsamem Flügelschlag hoch am Morgenhimmel dahinfliegen.
    Er wandte sich nach rechts und ging den schmalen Weg entlang, der in seiner eigenen Zeit die Huntercombe Lane hieß. Die Straße ins Jägertal. Auf dieser Straße waren er und James zu Dawsons Hof gegangen, es war dieselbe Straße, auf der er fast jeden Tag seines Lebens gegangen war, aber sie sah jetzt ganz anders aus. Jetzt war sie nicht viel mehr als ein Pfad durch einen Wald, hohe, schneebeladene Bäume engten sie zu beiden Seiten ein. Will ging mit weit offenen Augen und gespannter Aufmerksamkeit durch die Stille, bis er plötzlich vor sich schwache Geräusche hörte.
    Er blieb stehen. Da war der Ton wieder. Gedämpft drang er durch die Bäume: ein rhythmisches Klopfen in verschiedener Tonhöhe, als ob jemand auf Metall hämmerte. Es kam in kurzen, unregelmäßigen Abständen, als würden Nägel eingeschlagen.
    Während Will

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