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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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Jetzt wird die Finsternis, sobald Hawkin sie ruft, uns hier angreifen können wie an allen anderen Orten. Und die Gefahr wird im Lauf der Jahre wachsen.«
    Er stand auf und glättete sein Spitzenjabot; in den strengen Linien seines Profils lag eine furchtbare Härte und der Blick unter den drohenden Brauen, den Will kurz aufblitzen sah, ließ den Jungen erstarren. Es war das Gesicht eines Richters, unversöhnlich und vernichtend.
    »Und das Schicksal, das Hawkin sich mit dieser Tat selbst bereitet«, sagte Merriman mit ausdrucksloser Stimme, »ist schrecklich; er wird oft wünschen, tot zu sein.«
    Will war zwischen Mitleid und Entsetzen hin- und hergerissen. Er fragte nicht, was dem kleinen helläugigen Hawkin geschehen werde, Hawkin, der mit ihm gelacht und ihm geholfen hatte, der für diese kurze Zeit sein Freund gewesen war; er wollte es nicht wissen.
    Die Melodie des Tanzes klang aus, die Tänzer knicksten und verneigten sich lachend. Will stand traurig da und rührte sich nicht. Merrimans starrer Ausdruck wurde ein wenig weicher. Er nahm Wills Hand und drehte ihn sanft der Mitte des Salons zu.
    Will bemerkte eine Lücke zwischen den Tänzern, dahinter die Gruppe der Musikanten. Sie stimmten jetzt wieder den »Guten König Wenzeslaus« an, das Weihnachtslied, das sie gespielt hatten, als er den Saal zum ersten Mal durch das Tor betrat.
    Fröhlich stimmte die ganze Gesellschaft ein, dann kam die nächste Strophe, Merrimans tiefe Stimme erfüllte den Raum und Will wusste, dass er bei der nächsten Strophe an der Reihe war.
    Er holte tief Atem und hob den Kopf.
Herr, er wohnt 'ne Meile weit,
Unterhalb der Stelle...
    Es gab keinen Augenblick des Abschieds, keinen Augenblick, in dem er das ganze neunzehnte Jahrhundert verdämmern sah. Eine andere junge Stimme sang neben ihm und die Stimmen klangen genau im Gleichmaß. Hätte man nicht die Lippen der beiden sich bewegen sehen, man würde geglaubt haben, dass nur ein Junge sang ...
Wo der Wald herniedersteigt
Zu Sankt-Agnes'-Quelle
    ... und er wusste, dass er bei James und Mary und den anderen stand und dass er und James gemeinsam sangen und dass die Musik, die sie begleitete, Pauls einsame Flöte war.
    Er stand in der dunklen Eingangshalle; seine Hände hielten die brennende Kerze und er sah, dass die Kerze, seit er sie zuletzt angeschaut hatte, kaum einen Millimeter heruntergebrannt war. Das Weihnachtslied war zu Ende.
    Miss Greythorne sagte: »Sehr gut, wirklich sehr gut. Es geht doch nichts über den ›Guten König Wenzeslaus‹; es ist immer schon mein Lieblingslied gewesen.«
    Will spähte über seine Kerzenflamme zu der unbewegten Gestalt in dem großen, geschnitzten Lehnstuhl hin; ihre Stimme war älter, härter, auch ihr Gesicht war von den Jahren gezeichnet, aber sonst war sie genau wie — ihre Großmutter? Das musste wohl die jüngere Miss Greythorne gewesen sein. Oder ihre Urgroßmutter?
    Miss Greythorne sagte: »Die Weihnachtssänger aus Huntercombe haben in diesem Haus schon immer den ›Guten König Wenzeslaus‹ gesungen, seit so langer Zeit, dass ihr es euch gar nicht vorstellen könnt und ich auch nicht. — Also, Paul und Robin und ihr anderen, wie wäre es mit einem Schluck Weihnachtspunsch?« Diese Frage hatte Tradition und die Antwort ebenfalls.
    »Nun«, sagte Robin feierlich, »vielen Dank, Miss Greythorne, vielleicht einen kleinen Schluck.«
    »Dieses Jahr kann auch der kleine Will mittrinken«, sagte Paul. »Er ist jetzt elf, Miss Greythorne, wussten Sie das?«
    Die Haushälterin kam mit einem Tablett blitzender Gläser und einer großen Bowle mit rot-braunem Punsch und alle Augen richteten sich auf Merriman, der herzutrat, um die Gläser zu füllen. Aber Wills Blick wurde von den scharfen, plötzlich jüngeren Augen der Gestalt im Lehnstuhl festgehalten.
    »Ja«, sagte Miss Greythorne sanft, wie in Gedanken, »natürlich wusste ich das. Will Stanton hat Geburtstag gehabt.«
    Sie wandte sich Merriman zu und nahm die beiden Gläser, die er ihr reichte, entgegen. »Viel Glück zum Geburtstag, Will Stanton, du siebenter Sohn eines siebenten Sohnes«, sagte Miss Greythorne. »Und viel Erfolg bei deinen Unternehmungen.«
    »Vielen Dank, gnädiges Fräulein«, sagte Will verwundert. Und sie hoben ihre Gläser und tranken einander feierlich zu, so wie es die Stanton-Kinder beim Weihnachtsessen taten, der einzigen Gelegenheit im Jahr, wo sie zum Essen Wein trinken durften.
    Merriman machte die Runde und bald hatte jeder ein Glas Punsch in der Hand

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