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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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Seiten.
    Merrimans Stimme kam aus dem tiefen Schatten hinter ihm: »Aber natürlich ist es das. Das Wasser hat es in Sicherheit gebracht. Und zur rechten Zeit haben die Uralten es aus dem Wasser geholt.«
    »Und jetzt«, sagte der alte George vom Rücken des geduldigen Pollux herunter, »musst du es dem Jäger bringen, junger Uralter.«
    Will schluckte ängstlich. Ein Uralter hatte nichts in der Welt zu fürchten, nichts. Und doch war etwas so Fremdes und Furchterregendes an der schattenhaften Gestalt unter der Rieseneiche, dass man sich überflüssig vorkam, unbedeutend und klein.
    Er straffte sich. Überflüssig war das falsche Wort; er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Er hob das Bündel wie eine Fahne hoch, riss die Hülle ab und die bunte, unheimliche Karnevalsmaske kam so glatt und unbeschädigt zum Vorschein, als sei sie eben erst aus dem fernen Land angekommen. Das Geweih ragte stolz in die Höhe; er sah jetzt, dass es genau die gleiche Form hatte wie das Geweih des goldenen Hirsches auf dem Königsschiff.
    Die Maske vor sich hertragend, ging er festen Schrittes auf die dunklen Schatten unter der weit verzweigten Eiche zu. Am Rande der Krone blieb er stehen. Er konnte den weißen Schimmer des Pferdes sehen, das sich regte, als erkenne es ihn; er sah auch, dass die Stute einen Reiter trug. Aber das war alles.
    Die Gestalt auf dem Pferd neigte sich ihm zu. Er konnte das Gesicht nicht sehen, fühlte aber, wie ihm die Maske abgenommen wurde — und obgleich die Maske ihm zuerst so leicht vorgekommen war, fielen seine Hände herunter, als wären sie von einer großen Last befreit.
    Er trat zurück. Der Mond kam plötzlich wieder hinter einer Wolke hervor und blendete ihn mit seinem kalten weißen Licht; dann war er wieder verschwunden und die weiße Stute trat aus den Schatten heraus; die Umrisse des Reiters waren vor der größeren Helligkeit des Himmels deutlich sichtbar. Der Reiter hatte jetzt einen Kopf, der größer war als ein menschliches Haupt, gekrönt von einem Hirschgeweih. Und die weiße Stute mit dem unheimlichen Hirschmenschen auf dem Rücken kam unerbittlich auf Will zu.
    Er stand da und wartete, bis das große Pferd ganz nahe war; seine Nase berührte Wills Schulter noch einmal — zum letzten Mal. Über ihm ragte die Gestalt des Reiters empor. Das Mondlicht fiel jetzt voll in sein Gesicht. Will blickte in seltsam helle Augen, unergründlich und gold-gelb wie die Augen eines riesigen Vogels. Er blickte in die Augen des Jägers und wieder hörte er das unheimliche hohe Kläffen in der Luft. Er riss sich mit Mühe aus der Verzauberung los, um die große gehörnte Maske zu betrachten, die er dem Jäger gebracht hatte.
    Aber der Kopf war ein wirklicher Kopf.
    Die goldenen Augen blinzelten rund und von Federn umrandet mit dem raschen Lidschlag einer Eule; das Gesicht, in dem diese Augen saßen, war voll auf Will gerichtet und der feste Mund über dem weichen Bart öffnete sich zu einem schnellen Lächeln. Dieser Mund verwirrte Will. Es war nicht der Mund eines Uralten. Er konnte freundschaftlich lächeln, aber er war auch von anderen Zügen umgeben. Wo Merrimans Gesicht Züge der Trauer und des Zornes zeigte, deuteten die Züge des Jägers auf Grausamkeit, auf Gefühle erbarmungsloser Rachsucht. Er war wirklich zur Hälfte ein Tier. Die dunklen Zweige von Hernes Geweih bogen sich über Will hinweg, das Mondlicht spielte in ihrem samtenen Glanz und der Jäger lachte leise. Er blickte Will mit seinen gelben Augen an, das Gesicht war keine Maske mehr, sondern ein wirkliches Gesicht, und seine Stimme klang wie eine voll tönende Glocke. »Zeig mir die Zeichen, Uralter«, sagte er. »Zeig mir die Zeichen.«
    Ohne seine Augen von der ragenden Gestalt zu nehmen, löste Will die Schnalle seines Gürtels und hielt die sechs durchkreuzten Ringe ins Mondlicht. Der Jäger sah sie an und senkte den Kopf. Als er ihn langsam wieder hob, sprach seine weiche Stimme halb singend Worte, die Will schon einmal gehört hatte:
Erhebt die Finsternis sich wieder, wehren sechs sie ab;
Drei aus dem Kreis und Drei von dem Pfad.

Holz, Bronze, Eisen; Wasser, Feuer, Stein;

Fünf kehren wieder und Einer geht allein.

Eisen für das Wiegenfest, Bronze trägst du lang;
Holz aus dem Flammenbrand, Stein aus Gesang;
Feuer aus dem Kerzenring, Wasser aus dem Firn;
Sechs Zeichen bilden den Kreis und der Gral ist fern.
    Aber er hörte nicht auf, wie Will es erwartet hatte, sondern fuhr fort:
Bergfeuer finden die goldene Harfe der

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