Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
Kopf näher, aber Will hörte nicht mehr zu. Der Kopf lag ganz nah an der Gartenmauer, die immer noch unter dem Schnee lag, aber an beiden Seiten schon wieder zum Vorschein kam. Und auf der Schneewehe an der Außenseite, die die Böschung zur Straße bedeckte und das Rinnsal in der Gosse überragte, waren Spuren zu sehen.
Es waren die Hufspuren eines Pferdes, das hier angehalten und gewendet hatte und über den Schnee davongaloppiert war. Aber es waren nicht die Abdrücke gewöhnlicher Hufeisen, es waren Kreise, die durch ein Kreuz gevierteilt wurden: die Abdrücke der Hufeisen, mit denen John Wieland Smith ganz zu Anfang die weiße Stute des Lichts beschlagen hatte.
Will betrachtete die Abdrücke und die Karnevalsmaske und schluckte. Er ging bis zum Ende der Auffahrt und blickte die Huntercombe Lane hinunter; er konnte Merrimans Rücken noch sehen, seine hohe, dunkel gekleidete Gestalt, die sich immer mehr entfernte. Dann sträubte sich sein Haar und seine Pulse standen still, denn hinter ihm erklang ein Ton, so süß, dass es in der scharfen Luft dieses grauen, kalten Morgens unfassbar schien. Es war der weiche, liebliche, sehnsuchtsvolle Ton der alten Flöte aus dem Schloss; Paul hatte nicht widerstehen können und versuchte sich darauf. Er spielte wieder einmal »Greensleves«. Die elfische, zauberhafte Melodie wiegte sich auf der stillen Morgenluft; Will sah, wie Merriman den buschigen weißen Kopf hob, aber er hielt den Schritt nicht an.
Während Will immer noch dastand, der Musik lauschte und die Straße entlangblickte, sah er, wie die Bäume und der Nebel und das Stück Straße, auf das Merriman zuging, in einer Weise zu zittern und zu schwanken begannen, die er schon kannte. Und dann sah er, wie das große Tor Gestalt annahm, so wie er es auf dem offenen Abhang und im Schloss gesehen hatte: Die hohen, geschnitzten Flügel, die aus der Zeit herausführten, standen allein und aufrecht auf dem Alten Weg, der jetzt die Huntercombe Lane hieß. Ganz langsam öffneten sie sich. Die Musik in Wills Rücken brach ab, Paul lachte und sprach unverständliche Worte — aber die Musik in Wills Kopf hörte nicht auf zu klingen, es war jetzt die zauberhafte Glockenmelodie, die immer das Öffnen des Tores begleitete und bei jedem großen Wechsel im Leben eines Uralten erklang. Will ballte die Fäuste, er sehnte sich danach, dem süßen lockenden Ton zu folgen, der der Raum zwischen Wachen und Träumen, zwischen gestern und morgen, zwischen Erinnerung und Vorstellung war.
Allmählich entfernte sich die Musik, verhallte, während draußen auf dem Alten Weg Merrimans hohe Gestalt, jetzt wieder umweht von dem blauen Umhang, durch das Tor trat. Hinter ihm schwangen die hohen, schweren, geschnitzten Eichenflügel langsam zusammen und schlossen sich schließlich leise. Jetzt erst war das letzte Echo der Zaubermelodie verklungen und das Tor war verschwunden.
In einem Schwall gelb-weißen Lichtes ging die Sonne über Huntercombe und dem Themsetal auf.
Greenwitch
Kapitel 1
Nur eine Zeitung brachte die Geschichte in Einzelheiten. Unter der Schlagzeile: SCHÄTZE AUS DEM MUSEUM GESTOHLEN! war da zu lesen:
Mehrere keltische Kunstgegenstände wurden gestern aus dem Britischen Museum gestohlen, einer davon besaß einen Wert von mehr als 50 000 Pfund. Nach Aussagen der Polizei scheint der Diebstahl nach einem ausgeklügelten und bis jetzt nicht enträtselten Plan durchgeführt worden zu sein. Keine der Alarmvorrichtungen war abgeschaltet, die Vitrinen, in denen sich die gestohlenen Gegenstände befunden hatten, wurden nicht beschädigt, es sind bis zur Stunde keine Spuren eines Einbruchs entdeckt worden.
Unter den fehlenden Gegenständen befinden sich ein goldener Kelch, drei edelsteinbesetzte Broschen und eine Bronzeschnalle. Der Kelch, bekannt als der Gral von Trewissick, wurde erst im vergangenen Sommer vom Museum erworben: Drei Kinder hatten ihn unter dramatischen Umständen in einer Höhle in Cornwall entdeckt. Der Wert des Kelches wurde mit 50 000 Pfund angegeben, aber ein Sprecher des Museums teilte gestern Abend mit, dass der wahre Wert unschätzbar sei, da sich auf der Außenseite einzigartige Inschriften befänden, die bis jetzt noch von keinem Gelehrten entziffert worden seien.
Der Sprecher fügte hinzu, das Museum richte an die Diebe die dringende Bitte, den Kelch in keiner Weise zu beschädigen. Für die Rückgabe wird eine hohe Belohnung ausgesetzt. »Der Kelch stellt ein außergewöhnliches geschichtliches Dokument
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