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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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blinden Kopf der
Greenwitch
starrte es zurück. Es würde sich nicht bewegen, nicht lebendig werden, das wusste sie. Ihr Erschrecken kam nicht aus Angst, sondern weil sie spürte, dass von der Gestalt eine schreckliche, grenzenlose Einsamkeit ausging. Die große Macht war verknüpft mit großer Einsamkeit. Während Jane die
Greenwitch
anschaute, überkam sie eine tiefe Furcht, aber auch etwas wie Mitleid.
    Aber die Furcht, die von ihrem Erstaunen über eine so unerklärliche Kraft herrührte, überwog alles andere.
    »Du spürst es also.« Die Anführerin der Frauen stand wieder neben ihr; die harten, deutlichen Worte enthielten keine Frage. »Einige Frauen spüren es. Oder Mädchen. Aber sehr wenige. Keine von denen, die hier sind, nicht eine einzige.« Sie wies mit einer verächtlichen Geste auf die fröhliche Schar. »Aber eine, die den Gral in ihrer Hand gehalten hat, mag vieles spüren... Komm. Sag deinen Wunsch.«
    »O nein.« Jane wich instinktiv zurück.
    In diesem Augenblick trennte sich eine Gruppe von vier jungen Frauen von der großen Schar und lief auf das stämmige, schattige Standbild aus Laub zu. Sie schüttelten sich vor Lachen und riefen einander zu. Und eine, die dicker und alberner war als die andern, stürzte herbei und umfing die Masse aus Weißdorn, die sie bei weitem überragte.
    »Schicke uns allen einen reichen Ehemann,
Greenwitch,
ich bitte dich!«, schrie sie.
    »Oder noch besser, du schickst ihr den jungen Jim Tregomy!«, bellte eine andere. Mit kreischendem Gelächter liefen sie zu den andern zurück.
    »Da siehst du«, sagte die Frau, »den Törichten geschieht kein Leid, und das sind die meisten. Und darum geschieht auch denen, die verstehen, nichts. Willst du kommen?«
    Sie trat zu der großen, stillen Gestalt hin, berührte sie mit der Hand und sagte etwas, was Jane nicht verstehen konnte.
    Ängstlich ging Jane hinter ihr her. Als sie nahe an die
Greenwitch
herangekommen war, spürte sie wieder die unvorstellbare Kraft, die sich in dieser Gestalt verkörperte, aber auch die tiefe Einsamkeit. Trauer schien sie wie ein Nebel einzuhüllen. Jane streckte die Hand aus und ergriff einen Weißdornzweig. So stand sie eine Zeit lang. »O Gott«, sagte sie dann, einem plötzlichen Gefühl nachgebend, »ich wünschte, du könntest glücklich sein.«
    Während sie es sagte, dachte sie: Wie kindisch von mir, ich hätte mir doch alles Mögliche wünschen können, sogar dass wir den Gral wiederfinden... auch wenn es alles nur Unsinn ist, ich hätte es wenigstens versuchen können. Aber die Frau mit den harten Augen betrachtete sie mit einer seltsamen Überraschung und Zustimmung.
    »Ein gefährlicher Wunsch«, sagte sie. »Denn wenn auch mancher durch harmlose Dinge erfreut wird, so gibt es doch auch welche, die glücklich sind, wenn sie wehtun können. Aber vielleicht kommt etwas Gutes dabei heraus.«
    Jane wusste darauf nichts zu sagen. Sie kam sich plötzlich sehr töricht vor.
    Dann glaubte sie, ein gedämpftes Klopfen von der See her zu hören, und fuhr herum. Auch die Frau schaute nach draußen. Am Horizont stand jetzt ein grauer Streifen, der vorher nicht da gewesen war. Draußen auf der dunklen See flackerten Lichter, weiße, rote und grüne. Die ersten Fischer kehrten zurück.
    Später wusste Jane nicht mehr viel von dieser langen Wartezeit. Die Luft war kalt. Langsam, langsam kamen die Fischerboote näher. Über die steingraue See glitzerten ihre Lichter in der kalten Dämmerung. Und dann, als sie sich endlich dem Pier näherten, schien das Dorf plötzlich und überschäumend zum Leben zu erwachen. Lichter und Stimmen umgaben die Anlegestellen, Motoren husteten, die Luft füllte sich mit Geschrei und Gelächter und mit großem Getöse wurden die Boote entladen. Und über alldem kreisten und kreischten die Möwen, von der Aussicht auf Beute geweckt. Sie umschwärmten die Boote in einer großen weißen Wolke und tauchten nach weggeworfenen Fischen. Später stellte Jane fest, dass sie sich am besten an die Möwen erinnerte.
    Als alle Boote entladen waren, als die Lastwagen zum Markt abgefahren und die Kisten mit Fisch in die kleine Konservenfabrik gebracht waren, bewegte sich vom Hafen herauf der Zug der Fischer. Auch die anderen Männer waren dabei, die Leute aus der Fabrik und die Mechaniker, die Ladeninhaber und Bauern, alle Männer von Trewissick. Aber die Fischer in ihren dunklen Sweatern, mit umschatteten Augen und stoppeligem Kinn, müde und nach Fisch riechend, führten den Zug an.

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