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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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herkommt, schlich sich ein Gedanke in sein Bewusstsein: Vielleicht war der Mann gar nicht böse, sondern einfach verrückt, ein wenig irre? Das konnte, wie ihm plötzlich klar wurde, alles erklären, was der seltsame Maler getan hatte; sogar große Künstler taten manchmal seltsame Dinge, verhielten sich unverständlich — zum Beispiel der wahnsinnige van Gogh...
    Er sagte vorsichtig: »Ich soll in das Wasser und das Öl gucken und sagen, was ich sehe? Öl bildet auf Wasser hübsche Muster und auch Farben... also, das klingt harmlos genug. Nicht wahr, Simon?«
    »Es scheint so«, sagte Simon. Er hielt den Blick fest auf den dunklen Mann gerichtet, die wilden Augen, das bleiche, gespannte Gesicht, und auch in seine Gedanken schlich sich mit hypnotischer Gewalt dieser Gedanke. Auch ihm kam es immer wahrscheinlicher vor, dass ihr angeblicher Gegner vielleicht gar nichts mit den Mächten der Finsternis zu tun hatte, auch wenn Großonkel Merry das glaubte; dass er einfach ein Exzentriker, ein harmloser Irrer war. In diesem Fall war es am besten, das Spiel mitzuspielen.
    »Ja«, sagte er fest, »warum nicht?«
    Simon dachte: Wenn dieser ganze Unsinn vorüber ist, können wir uns den Gral schnappen und davonrennen. Ihm irgendwie entkommen, Rufus hereinrufen, Gumerry den Gral zurückbringen... Er sah Barney fest an, versuchte, ihm seine Gedanken zu übermitteln; er stieß ihn heimlich an und warf kurze Blicke auf den Gral. Barney nickte. Er wusste, was sein Bruder ihm zu sagen versuchte; der gleiche Gedanke arbeitete heftig in seinem eigenen Kopf.
    Der dunkle Mann ließ etwas Wasser aus dem Hahn in ein Glas laufen und goss es in den Gral. Dann holte er von einem Wandbrett eine kleine braune Flasche und fügte ein paar Tropfen irgendeines Öls hinzu. Er sah Barney mit einem verzehrenden Blick an. Man spürte, dass er zum Bersten gespannt war.
    »Jetzt setz dich hierher«, sagte er, »und schau genau hin. Schau genau und lange. Und sag mir, was du siehst.«
    Barney setzte sich an den Tisch und nahm langsam den strahlenden goldenen Kelch in beide Hände. Obwohl die beschriebene Außenseite so hell glänzte wie je zuvor, war die Wölbung im Inneren von einem dumpfen Schwarz. Barney starrte in die Flüssigkeit in dem Gefäß. Im kalten grünen Licht, das unerklärlicherweise aus den Mustern der bemalten Decke strömte, beobachtete er, wie die dünne Ölschicht auf der Wasseroberfläche sich drehte und wirbelte, sich wand, sich teilte und wieder vereinigte, Inseln bildete, die davontrieben und dann im Rest wieder verschwanden. Und er sah... er sah...
    Dunkelheit überfiel ihn wie ein plötzlicher Schlaf und er wusste nichts mehr.

Kapitel 6
    Jane war den Tränen nah. »Aber sie können doch nicht einfach verschwinden! Etwas Schreckliches muss passiert sein!«
    »Unsinn«, sagte Merriman, »sie werden jeden Augenblick hereingestürzt kommen und nach ihrem Frühstück schreien.«
    »Aber wir haben schon vor einer Stunde gefrühstückt.« Jane ließ ihren Blick gequält über den Hafen schweifen, wo im Sonnenschein ein geschäftiges Treiben herrschte. Sie standen auf der schmalen, gepflasterten Straße vor dem Haus, oberhalb des Gewirrs von Treppen und Gässchen, die zum Hafen hinunterführten.
    Will sagte: »Es ist bestimmt alles in Ordnung, Jane. Sie sind wahrscheinlich früh wach geworden, ein bisschen spazieren gegangen und haben sich dabei weiter entfernt, als sie beabsichtigt hatten. Mach dir keine Sorgen.«
    »Du magst wohl Recht haben — bestimmt hast du Recht.
    Aber mir geht immer die schreckliche Vorstellung im Kopf herum, dass sie auf Kemare Head hinausgegangen sind, so wie wir es im vergangenen Jahr oft getan haben, und dass einer von ihnen sich auf den Klippen verstiegen hat und nicht mehr zurückkann oder so... O Gott, ich weiß, ich bin blöd. Tut mir Leid, Gumerry.« Jane schüttelte ungeduldig ihr langes Haar zurück. »Es kommt daher, dass ich die
Greenwitch
habe fallen sehen. Ich werde jetzt den Mund halten.«
    »Ich will dir etwas sagen«, sagte Will. »Warum gehen wir nicht auf die Landzunge und sehen nach? Dann wäre dir wohler.«
    Erleichtert blickte Jane von einem zum andern. »Wirklich?«
    »Natürlich«, sagte Merriman. »Mrs Penhallow wird den Ausreißern schon ihr Frühstück geben, wenn sie in der Zwischenzeit zurückkommen. Ihr zwei geht schon los — ich spreche nur kurz mit ihr und komme dann nach.«
    Jane strahlte. »So ist's besser. Warten ist schrecklich. Vielen Dank, Will.«
    »Ich komme gern«,

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