Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
kleinem Werkzeug behängt, auch eine alte Fiedel hing dort und eine seltsam gestreifte Wolldecke. Aber die Möbel waren modern, von billigem Glanz. Sogar der Kamin war kein richtiger Kamin, sondern nur ein Abzug für die heiße Luft, die sich über dem sauberen elektrischen Herd bildete.
Dann sahen sie plötzlich, wie die Decke bemalt war. Von einem Ende zum andern war hinter den bunten, konventionellen Schnörkeln ein riesiges, heftig bewegtes abstraktes Gemälde über ihren Köpfen ausgebreitet. Die Formen und Farben zeigten keine erkennbare Gestalt, aber der Anblick war erregend und bestürzend, voll von seltsamen Wirbeln und Schatten und durchschossen von heftigen Farben, die an den Sinnen zerrten. Barney spürte wieder die Kraft und die Bosheit, die ihm von der Leinwand entgegengeströmt waren, die der Mann im Hafen bemalt hatte. Auch an der Decke sah er wieder den besonders quälenden Grünton, der ihm schon auf dem Hafenbild so missfallen hatte. Er sagte unvermittelt zu Simon: »Lass uns heimgehen.«
»Noch nicht«, sagte der dunkle Mann. Er sprach leise, ohne sich zu bewegen, und Barney fühlte voll Entsetzen, wie die Mächte der Finsternis versuchten, Macht über ihn zu gewinnen — bis unerwartet das leise Zischen, über dessen Ursprung er gerätselt hatte, in einen schrillen Pfeifton überging: Ein Wasserkessel kochte, und das vertraute laute Pfeifen, das den Raum erfüllte, ließ den Gedanken an etwas Böses lächerlich erscheinen.
Aber Simon hatte es auch gespürt. Er schaute den dunklen Mann an und dachte:
Du willst verhindern, dass wir Angst bekommen, du schiebst es hinaus. Warum willst du, dass wir bleiben?
Der dunkelhaarige Mann machte sich ganz nüchtern daran, Pulverkaffee in einen Becher zu tun und heißes Wasser aus dem Kessel darüberzugießen. »Möchte einer von euch Kaffee?«, fragte er, über die Schulter blickend.
Simon sagte schnell: »Nein, vielen Dank.«
Barney sagte: »Ich hätte gern einen Schluck Wasser.« Als er Simons unwillige Miene sah, fügte er kläglich hinzu: »Ich bin vom Laufen so durstig geworden. Kann ich mal einen Schluck aus dem Wasserhahn trinken?«
»In dem Schrank neben deinem rechten Fuß«, sagte der Maler, »findest du ein paar Dosen Orangeade.« Und mit einem ironischen Blick auf Simon fügte er hinzu: »Brauselimonade. Harmlos. Frisch aus der Fabrik.«
»Danke«, sagte Barney schnell und beugte sich zur Schranktür.
Der Mann sagte: »Du könntest auch den Karton herausholen, der darin steht.«
»Gut.« Nach einigem Schieben und Klappern brachte Barney einen unauffälligen braunen Karton zum Vorschein; er stellte ihn auf den Tisch und daneben zwei Dosen Limonade, die er unter den Arm geklemmt hatte. Ohne ein Wort nahm Simon die eine und riss den Verschluss auf. Es zischte Vertrauen erweckend, aber ein hartnäckiger Verdacht hinderte ihn immer noch am Trinken. Er tat nur so, als nähme er einen Schluck. Barney trank gierig mit genießerischen gurgelnden Geräuschen.
»Jetzt ist mir besser. Vielen Dank. Und kann ich jetzt mein Bild zurückhaben?«
»Mach den Karton auf«, sagte der Mann. Das lange Haar fiel ihm ins Gesicht, während er seinen Kaffee trank.
»Ist es darin?«
»Mach den Karton auf«, sagte der Mann noch einmal, es war etwas Gespanntes in seiner Stimme. Simon dachte: Er ist so gespannt wie ein Flitzebogen. Warum?
Barney stellte seine Limonadendose auf den Tisch und nahm den Deckel von dem braunen Karton. Er holte ein Blatt Papier heraus, hielt es hoch und betrachtete es kritisch. »Ja, das ist meine Zeichnung.«
Er schaute noch einmal in den Karton, und auf einmal begannen seine Augen zu glänzen, als durchdringe ihn ein blendendes Licht. Fassungslos starrte er, dann stieß er einen heiseren Schrei aus:
»Simon! Es ist der Gral!«
Im gleichen Augenblick veränderte sich die Welt um sie herum; mit einem Knall schlossen sich die Türen des kleinen Wohnwagens, die Rollläden vor den Fenstern fielen herunter und schlossen jedes Tageslicht aus. Einen Augenblick lang war es stockdunkel, aber gleich darauf wurden Barneys blinzelnde Augen ein mattes Licht gewahr. Erschrocken schaute er sich nach seiner Quelle um, und ihm wurde beinahe übel vor Schreck, weil das immer noch schwache, beängstigende Glühen nicht von einer Lampe kam, sondern von der bemalten Decke. Oben an der Decke strahlten die unheimlichen grünen Wirbel, die ihn so beunruhigt hatten, in einem kalten, fahlen Licht. Er erkannte jetzt, dass es bestimmte Formen waren, eckige
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