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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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in dieser Dunkelheit sah Jane, wo immer sie hinschaute, etwas, was sich regte. Zuerst sagte sie sich, dass sie es sich nur einbildete, denn immer wenn sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung sah und dann genau hinschaute, war nichts mehr da. Sie konnte es nie direkt und deutlich sehen. Aber das dauerte nicht lange.
    Es änderte sich, als sie die einzelne Gestalt eines Mannes erkannte. Er kam abseits des Hafens aus dem Wasser herauf und stieg mit seltsam gleitenden Bewegungen eine Treppe hinauf.
    Er triefte vor Nässe; die Kleider klebten ihm am Körper, das lange Haar lag flach und dunkel um sein Gesicht herum, und während er ging, lief das Wasser an ihm herunter und zog eine Spur hinter ihm her. Er stieg langsam zur Hauptstraße von Trewissick hinauf, ohne nach links oder rechts zu schauen. Jetzt kam er an die Ecke der kleinen Konservenfabrik, deren neuer Anbau einen rechten Winkel mit den alten Ziegelgebäuden bildete, die sich in einer unordentlichen Reihe am Kai entlangzogen. Aber der Mann in den nassen Kleidern verlangsamte seinen Schritt nicht, noch änderte er die Richtung. Er ging einfach durch die Mauer hindurch, als wäre sie gar nicht da, und kam in ein paar Sekunden auf der anderen Seite des Anbaus wieder zum Vorschein. Dann verschwand er in der Dunkelheit der Hauptstraße.
    Jane starrte in die Nacht hinaus. Sie sagte leise und ganz verzweifelt: »Es ist nicht wahr. Es ist nicht wahr.«
    Es war ganz still. Jane umklammerte ihren Becher wie man sonst einen Talisman umklammern würde; dann fuhr sie plötzlich so heftig zusammen, dass sie die Hälfte des Kakaos auf die Fensterbank verschüttete. Sie hatte direkt unter sich an der Haustür eine Bewegung wahrgenommen. Trotz ihrer Angst zwang sie sich, nach unten zu schauen, und sah zwei Gestalten aus der Tür treten. Merriman war unverkennbar. Obgleich er in einen langen Umhang mit einer Kapuze gehüllt war, sah Jane im Licht der Straßenlaterne die hohe Stirn und die kühne Adlernase. Aber es dauerte eine Weile, bevor sie die zweite Gestalt, die in der gleichen Weise eingehüllt war, erkannte. Es war Will Stanton. Sie kannte ihn an einer Eigenart seines Gangs, die ihr bis dahin nicht besonders aufgefallen war.
    Die beiden gingen ohne Eile bis zur Mitte des Kais. Jane konnte nur mit Mühe dem Drang widerstehen, das Fenster aufzureißen und ihnen eine Warnung zuzurufen, sie vor unbekannten Gefahren zurückzuhalten. Aber sie kannte ihren seltsamen Großonkel lange genug. Er war nie wie andere Männer gewesen; er hatte immer über unvorhersehbare Kräfte verfügt, er erschien ihr größer als irgendjemand, den sie kannte. Vielleicht war er sogar der Urheber all dieser Dinge.
    »Er gehört zu den Mächten des Lichts«, sagte Jane mit lauter, ernster Stimme zu sich selbst, und zum ersten Mal hörte sie, wie unmöglich und wie schwerwiegend diese Worte klangen.
    Dann sagte sie nachdenklich, indem sie sich verbesserte:
»Sie
gehören zu den Mächten des Lichts.« Sie betrachtete die kleinere der verhüllten Gestalten. Es fiel ihr schwer, zu glauben, dass an Will etwas Übernatürliches sein könnte. Sein fröhliches, rundes Gesicht mit den blaugrauen Augen und das glatte mausgraue Haar hatten für sie seit Beginn dieses Abenteuers etwas beruhigend Einfaches gehabt. Es würde nichts Beruhigendes mehr an Will sein, wenn er wirklich wie Merriman war.
    Und dann vergaß sie Merriman, Will und alles um sich herum. Sie hatte die Lichter erblickt.
    Es waren die Lichter eines Schiffs draußen auf See: helle Lichter wie Sterne, die ein wenig mit dem Seegang schwankten. Sie schwankten und schaukelten draußen in der Dunkelheit, aber sie waren viel zu nah am Land. Obgleich es deutlich die Lichter eines ziemlich großen Schiffes waren, lagen sie dicht vor den Klippen von Kemare Head, gefährlich und schrecklich nah. Sie hörte Stimmen, ein entferntes Rufen; einer schien zu rufen: »Jack Harrys Lichter!« Sie zwang sich, den Blick von der See wegzuwenden, und sah, dass der Hafen plötzlich voller Menschen war; Fischer, Frauen, Jungen — alles rief und winkte und wies auf die See hinaus. Sie drängten sich um die stillen Gestalten von Merriman und Will und an ihnen vorbei, als wären sie gar nicht da.
    Dann schien vor Janes Augen alles zu verschwimmen — dieser schwankende Zustand dauerte einen Augenblick —, aber als sich ihr Blick wieder klärte, schien alles wie zuvor. Und wenn ihr am Aussehen und der Kleidung der Dorfleute etwas anders vorkam, so war sie sich doch nicht

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