Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
sicher. Bevor sie diesem Gedanken nachgehen konnte, schien sich Schrecken der Menge zu bemächtigen. Ein unheimliches, flackerndes Licht wurde immer stärker und plötzlich strömten mit flammenden Fackeln bestückte Boote in den Hafen hinein, seltsam breite, mit Ruderern besetzte Boote. Ein Teil der Männer war barhäuptig, ihr langes rotes Haar flatterte im Wind, andere trugen gedrungene Helme, mit einem goldenen Eber als Helmzier und einem starken eisernen Gesichtsschutz. Die Boote erreichten das seichte Wasser; die Bootsleute ließen ihre Ruder fahren, ergriffen Schwerter und flammende Fackeln und sprangen aus den Booten, drängten sich durch das spritzende Wasser, stürzten sich an Land mit blutrünstigen Schreien, die Jane mit schrecklicher Deutlichkeit sogar durch das geschlossene Fenster hindurch hörte. Die Dorfleute liefen schreiend auseinander, flohen in alle Richtungen; ein paar wehrten sich mit Stöcken und Messern gegen die Eindringlinge. Aber die rothaarigen Männer wollten nur eins: Sie schlugen und hackten auf jeden, den sie fassen konnten, mit einer so schauerlichen Brutalität ein, wie Jane sie bei menschlichen Wesen nie für möglich gehalten hätte. Helles Blut lief über den Kai und strömte in die See hinein, wo es zu dunklen Wolken im Wasser auseinander lief.
Jane stand mit Mühe auf, ihr war übel, sie musste sich abwenden.
Als sie sich zitternd wieder ans Fenster wagte, waren die Schreie und das Jammern fast verklungen. Die letzten Flüchtenden und die brüllenden Eindringlinge jagten durch entfernte Straßen und überall im Dorf erhob sich ein Unheil verkündender roter Schein und erhellte den Himmel. Trewissick brannte. Flammen leckten an den Häusern auf dem Hügel jenseits des Hafens empor und spiegelten sich rot in den Fenstern; das Lagerhaus auf der entgegengesetzten Hafenseite stand in einem einzigen wilden Aufbrausen in Flammen. Ziegel- und Bruchsteine schienen unverständlicher-weise so lichterloh zu brennen wie Holz.
Jane zerrte verzweifelt an dem verklemmten Fenster. Als es schließlich aufflog, schlug ihr das laute Knistern und Brausen des Feuers entgegen, sie sah die sich zusammenballenden, rot erleuchteten Rauchwolken. Der Widerschein der Flammen tanzte auf dem Wasser des Hafens. In ihrer Aufregung fiel es Jane nicht auf, dass sie weder Brandgeruch wahrnahm noch Hitze spürte.
Unten auf dem Kai standen Merriman und Will still und in ihre Umhänge gehüllt, als hätten sie von alldem nichts bemerkt.
»Gumerry!«, schrie Jane. Sie konnte an nichts denken als daran, dass die Flammen auf das Haus übergreifen könnten. »Gumerry!«
Dann war der Aufruhr, der draußen die Luft erfüllt hatte, plötzlich verschwunden, vollkommen verschwunden, und sie hörte ihre eigene Stimme und fand, dass sie nicht mit äußerster Kraft schrie, wie sie geglaubt hatte, sondern nur flüsterte. Und während sie noch dasaß und es nicht glauben konnte, erstarben die Flammen und verschwanden, und der rote Widerschein am Himmel verblasste. Keine Spur von Blut war mehr zu sehen, alles im Hafen von Trewissick war so, als wären die rothaarigen Wüteriche nie da gewesen.
Irgendwo in der Nacht heulte ein Hund.
Frierend und verängstigt, zog Jane ihren Morgenmantel enger um sich. Wie gern hätte sie Simon gerufen, aber sie konnte ihren Blick nicht vom Fenster abwenden. Die dunklen Gestalten von Will und Merriman standen immer noch, ohne sich zu rühren, am Rand des Wassers. Sie ließen nicht erkennen, ob sie etwas von dem, was geschehen war, bemerkt hatten.
Auf dem Wasser des Hafens lag ein helles Glitzern, und Jane sah, dass über ihrem Kopf der Mond aus den Wolken herausgetreten war. Ein anderes Licht erhellte jetzt die Welt, ein kälteres, aber sanfteres Licht: Alles war schwarz und weiß und grau. Und da hinein erklang aus der Luft eine Stimme. Es war keine Menschenstimme, sie war dünn und unirdisch, sie sprach in singendem, hohem, ans Herz greifendem Ton dreimal den einen Satz:
Die Stunde ist gekommen, aber nicht der Mann.
Die Stunde ist gekommen, aber nicht der Mann.
Die Stunde ist gekommen, aber nicht der Mann.
Jane suchte mit dem Blick das ganze Hafengelände ab, konnte aber niemanden entdecken außer den beiden regungslosen Gestalten.
Wieder heulte irgendwo ein Hund. Wieder hörte sie seltsames Summen und Brummen in der Luft und dann vernahm sie weit oben im Dorf andere Stimmen.
»Die
Lottery,
die
Lottery«,
glaubte sie zu verstehen. Dann hörte sie, wie eine Männerstimme deutlich
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