Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
»Dann ist ja alles in Ordnung.«
»Mr Rowlands«, sagte Will, »könnte ich wohl mitkommen?« Sie hatten nicht bemerkt, dass er da war; überrascht wandten sich alle Köpfe dorthin, wo er auf der Treppe stand.
»Komm mit und sei willkommen«, sagte John Rowlands.
»Das wäre nett«, sagte Tante Jen. »Gerade gestern habe ich gedacht, dass wir dir Tal y Llyn noch nicht gezeigt haben. Das ist der See dort oben. Idris Jones' Hof liegt direkt am See.«
»Caradog Prichard würde nie auf die Idee kommen, dass der Hund dort sein könnte«, sagte David Evans. »Das wird ihm Zeit lassen, etwas abzukühlen.«
»Und wenn das Schafereißen weitergeht ...«, sagte Rhys und ließ den Satz absichtlich im Raum stehen.
»Da ist was dran«, sagte Wills Tante. »Wir müssen uns vergewissern, dass Caradog denkt, Pen sei hier. Wenn er dann wieder mit seinen eigenen Augen sieht, wie Pen ein Schaf reißt, haben wir die richtige Antwort für ihn.«
»Also gut«, sagte John Rowlands. »Pen ist zu Hause und bekommt gerade sein Abendessen, ich denke, ich werde ihm Gesellschaft leisten. Wir fahren um halb sechs, Will. Caradog Prichard gehört nicht zu den Frühaufstehern.«
»Vielleicht würde Bran euch gern begleiten, es ist ja Samstag«, sagte David Evans und lehnte sich, entspannt jetzt, in seinem Stuhl zurück.
»Das glaube ich nicht«, sagte Will.
Der freundliche See
Will hatte erwartet, dass er der Einzige im Haus sei, der sich früh um fünf schon regte, aber seine Tante Jen war vor ihm auf. Sie gab ihm eine Tasse Tee und eine große Scheibe selbst gebackenes Brot mit Butter.
»Es ist kalt draußen, so früh am Morgen«, sagte sie. »Du wirst dich wohler fühlen, wenn du etwas gegessen hast.«
»Brot und Butter schmecken hier fünfmal so gut als irgendwo sonst«, sagte Will. Kauend blickte er auf und sah, dass sie ihn mit einem sonderbaren, etwas verzerrten halben Lächeln musterte.
»Du siehst aus wie das blühende Leben«, sagte sie. »Genauso wie dein großer Bruder Stephen in deinem Alter. Niemand würde vermuten, dass du vor nicht allzu langer Zeit so krank warst. Aber du lieber Gott, bisher war es nicht gerade ein Erholungsurlaub für dich. Das Feuer und die ganze Angelegenheit mit den getöteten Schafen ...«
»Aufregend«, nuschelte Will mit vollem Mund.
»Nun ja«, sagte Tante Jen, »dabei ist dies in Wirklichkeit ein Ort, an dem normalerweise jahrein, jahraus nichts Ungewöhnliches geschieht. Für meinen Geschmack haben wir vorläufig genug Aufregung gehabt.«
Will sagte bewusst leichthin: »Die letzte echte Sensation hat es sicher gegeben, als Brans Mutter hier auftauchte.«
»Ach«, sagte seine Tante. Ihr freundliches, gemütliches Gesicht war undurchdringlich. »Du hast also davon gehört? Vermutlich hat John Rowlands dir die Geschichte erzählt. Er ist eine gute Seele,
Shoni mawr,
und hatte sicher seine Gründe. Sag mir, Will, hattest du irgendeinen Streit mit Bran?«
Will dachte:
Und das ist es, was du mich fragen wolltest, bei einer Tasse Tee, weil du auch eine gute Seele bist und Brans Kummer spürst ... Und ich wünschte, ich könnte wirklich aufrichtig sprechen.
»Nein«, sagte er. »Aber der Verlust von Cafall war so schlimm für ihn, dass ich glaube, er möchte einfach allein sein. Eine Zeit lang.«
»Armer Junge.« Sie schüttelte den Kopf. »Hab Geduld mit ihm. Er ist einsam und hat auf mancherlei Weise ein seltsames Schicksal. Es war wunderschön für ihn, dich hier zu haben, bis diese Geschichte alles verdorben hat.«
Will spürte einen kurzen Schmerz im Unterarm; er fasste hin und stellte fest, dass er von der Narbe des Lichts kam, seinem Brandmal.
Er fragte unvermittelt: »Ist sie niemals zurückgekehrt, Tantchen? Brans Mutter? Wie konnte sie einfach fortlaufen und ihn verlassen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte seine Tante. »Aber, nein, sie hat nie wieder ein Lebenszeichen gegeben.«
»In einem einzigen Augenblick für immer fortzugehen ... ich glaube, das muss Bran sehr zu schaffen machen.«
Sie sah ihn scharf an. »Hat er jemals etwas darüber gesagt?«
»Oh, nein, natürlich nicht. Wir haben nie darüber gesprochen. Ich habe nur gespürt ... ich bin einfach sicher, dass es ihm zu schaffen macht, unbewusst.«
»Du bist selbst ein komischer Junge«, sagte seine Tante neugierig. »Manchmal hörst du dich an wie ein alter Mann. Kommt wohl, weil du so viele Brüder und Schwestern hast, die älter sind als du ... Vielleicht verstehst du Bran besser, als die meisten Jungen es
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