Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
Vom Netzwerk:
keine einzige Ente.«
    James fragte: »Gehst du nach deinem Urlaub wieder dorthin?«
    »Wo immer Ihre Lordschaften uns hinschicken, Kamerad.« Stephen befestigte die scharlachrote Blüte im obersten Knopfloch seines Hemdes und entfaltete seinen langen Körper. »Kommt. Angeln.«
    »Ich komme gleich nach. Geht ihr schon vor.« Will lag träge im Gras und sah zu, wie sie ihre Angeln zusammensteckten und Haken und Schwimmer befestigten. Unsichtbare Grashüpfer zirpten zwischen den Gräsern und übertönten mit ihrem Sologesang das Summen der Sommerinsekten: Es war ein müde machendes, einschläferndes Lied. Will seufzte vor Zufriedenheit. Sonnenschein, Hochsommer und, wichtiger als beides, sein ältester Bruder auf Landurlaub. Die Welt meinte es gut mit ihm; nichts könnte schöner sein. Er spürte, wie ihm die Lider zufielen; er riss sie wieder auf. Wieder schlossen sie sich in schläfriger Zufriedenheit, wieder öffnete er sie mit Mühe. Einen Moment lang fragte er sich, was ihn davon abhielt, einfach einzuschlafen.
    Und dann wusste er es.
    Die Schwäne waren wieder auf dem Fluss aufgetaucht und glitten weiß und still langsam stromaufwärts. Über Will seufzten die Bäume in dem leichten Wind wie Wellen auf fernen Meeren. In winzigen gelbgrünen Sträußen lagen die Blüten des Ahorns im langen Gras um ihn herum. Während er eine von ihnen durch die Finger gleiten ließ, beobachtete er Stephen, der wenige Meter entfernt von ihm hoch aufgerichtet dastand und die Angelschnur in die Rute zog. Hinter Stephen, auf dem Fluss, sah er den einen der Schwäne langsam vor seinen Gefährten gleiten. Er schwamm an Stephen vorbei.
    Aber während er vorbeischwamm, verschwand er nicht hinter Stephen. Will sah die weiße Form deutlich durch Stephens Körper hindurch.
    Und durch den Schwan hindurch sah er einen steilen Hang, grasbewachsen und ohne Bäume, der vorher nicht dort gewesen war.
    Will schluckte.
    »Steve?«, sagte er.
    Sein ältester Bruder stand dicht vor ihm und knotete eine Leitschnur an seine Angel, und Will hatte laut gesprochen, aber Stephen hörte ihn nicht. James kam vorbei. Er hielt seine Angel aufrecht, aber niedrig, während er den Haken befestigte. Will konnte durch ihn hindurch wie in einem feinen Dunst die Schwäne sehen. Er setzte sich auf und streckte die Hand nach der Angel aus, als James an ihm vorbeiging, und seine Finger glitten durch das Holz, als wäre es nicht vorhanden.
    Und Will wusste, furchtsam und entzückt, dass ein Teil seines Lebens, der geschlafen hatte, wieder einmal hellwach war.
    Seine Brüder gingen quer über die Wiese zum Fluss hinüber. Durch ihre Phantomgestalten hindurch sah Will das einzige Stück Erde, das für ihn in diesem nicht greifbaren Zeitabschnitt handfest und wirklich war: den grasbewachsenen Hang, dessen Ränder im Dunst untergingen. Und auf ihm sah er Gestalten laufen und hasten, von irgendetwas zur Eile getrieben. Wenn er zu genau hinsah, waren sie verschwunden. Doch wenn er aus schläfrigen Augen schaute, nicht auf einen Punkt konzentriert, sah er sie alle durch Sonnenschein und Schatten dahineilen.
    Sie waren klein, dunkelhaarig. Sie gehörten in eine weit zurückliegende Zeit. Sie trugen blaue, grüne oder schwarze Tuniken und Will sah eine Frau in Weiß, mit einer Kette aus leuchtend blauen Perlen um den Hals. Sie trugen Bündel von Speeren, Pfeilen, Handwerksgeräten und Stöcken zusammen, wickelten Töpfe in Tierhäute und banden getrocknete Streifen zusammen, die Will für Fleisch hielt. Es waren Hunde bei ihnen: Hunde mit dichtem Fell und kurzen spitzen Schnauzen. Kinder liefen umher und riefen, und ein Hund hob den Kopf, um zu bellen, aber kein Laut drang zu Will. Für ihn zirpten nur die Grashüpfer und übertönten das tiefe Insektengesumm.
    Außer den Hunden sah er keine Tiere. Diese Leute gehörten nicht hierher, sondern kamen nur hier durch. Will war nicht einmal sicher, ob das Land, auf dem sie sich befanden, in ihrer eigenen Zeit, zu seinem eigenen Teil des Themsetals gehörte oder in einem ganz anderen Gebiet lag. Aber eines erkannte er plötzlich sehr deutlich: Sie alle hatten große Angst.
    Oft hoben sie voller Furcht die Köpfe und blickten nach Osten. Sie sprachen nur wenig miteinander, gingen hastig ihren verschiedenen Beschäftigungen nach. Irgendetwas, irgendjemand
    kam näher, bedrohte sie, trieb sie weiter. Sie befanden sich auf der Flucht. Will merkte, wie er angesteckt wurde von dem Gefühl der nahenden Gefahr, wie er versuchte, diese Leute

Weitere Kostenlose Bücher