Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
auswickeln.« Er sprach in einem gelassenen, ganz alltäglichen Ton, der nichts Drohendes an sich hatte, und als Barney misstrauisch zu ihm aufblickte, blitzten die weißen Zähne wieder in einem Lächeln auf.
Das Mädchen schlüpfte von dem Fahrersitz, sie bewegte sich wie eine Schlange in ihrem schwarzen Trikot. Sie kam um den Wagen herum und öffnete die Tür an Barneys Seite. Sie half ihm hinaus, drehte ihn um und um und wickelte ihn dabei aus dem Laken. Barney taumelte, seine Arme und Beine waren so steif und verkrampft, dass er sich kaum bewegen konnte.
Polly Withers lachte. Sie sah fantastisch aus mit der stramm sitzenden Katzenmaske, die ihr ganzes Gesicht, einschließlich Augen und Mund, bedeckte. »Tut mir Leid, Barney«, sagte sie in vertraulichem Ton, »wir haben es wohl ein bisschen übertrieben. Du hast so schön getanzt, es tat mir beinahe Leid, als wir aufhören mussten. Aber sei nicht böse, wir gehen jetzt erst einmal Tee trinken, wenn es dir dafür nicht noch zu früh ist.«
»Ich hab noch nicht zu Mittag gegessen«, sagte Barney, der plötzlich merkte, dass er Hunger hatte.
»Nun, in dem Fall müssen wir unbedingt dafür sorgen, dass du etwas zu essen kriegst. Du meine Güte — noch nicht zu Mittag gegessen? Und vermutlich sind wir daran schuld. Norman, läute, wir müssen dem armen Jungen etwas zu essen besorgen.«
Mr Withers schnalzte mitfühlend mit der Zunge, ging an die große Tür und drückte den Klingelknopf. Er war ganz in Weiß, aber nur in Hemdsärmeln und einer weißen Flanellhose. Das Arabergewand hatte er abgelegt. Seine bloßen Arme waren ebenso dunkelbraun geschminkt wie sein Gesicht.
Barney, der hinter ihm herging, während die Hand des Mädchens immer noch leicht auf seiner Schulter lag, war von ihrer Freundlichkeit ganz verwirrt. Hatte er nicht doch alles in einem falschen Licht gesehen? Vielleicht war das Ganze doch nur ein Scherz, etwas, was mit diesem Volksfest zu tun hatte? Vielleicht waren die Withers doch nur ganz gewöhnliche Leute ... sie hatten doch nie etwas getan, was wirklich zweifelsfrei bewiesen hätte, dass sie auf der Seite des Feindes standen ... vielleicht hatten er und Simon und Jane alles durcheinander gebracht ...
Dann hörte man in der Tiefe des Hauses Schritte, schwere Schritte, die allmählich näher kamen, dann öffnete sich die Tür. Zuerst erkannte Barney die Gestalt in engen schwarzen Jeans und grünem Hemd nicht. Dann sah er, dass es Bill Hoover war, der Simon verfolgt hatte, um ihm die Karte abzunehmen. Und sofort fiel ihm die Szene auf Kenmare Head an jenem Tag wieder ein, die Gier in Miss Withers' Gesicht, als sie das Manuskript erblickte, und da wusste er, dass sie doch Recht gehabt hatten.
Bills dumpfe Miene erhellte sich, als er Barney sah, und er grinste Miss Withers an.
»Sie haben ihn also«, sagte er.
Mr Withers fuhr schnell dazwischen, er trat vor und schob den Jungen beinahe aus dem Weg. »Hallo Bill«, sagte er mit aalglatter Miene, »wir haben einen kleinen Freund von dir zu Besuch mitgebracht. Ich denke doch, dass niemand was dagegen hat. Wir könnten alle was zu essen gebrauchen, lauf und sieh mal nach, was du auftreiben kannst, bitte.«
»Was dagegen haben?«, sagte der Junge. »Das glaube ich bestimmt nicht.« Er sah Barney wieder mit dem gleichen erwartungsvollen und unangenehmen Grinsen an. Dann drehte er sich um und verschwand den langen Korridor hinunter; im Vorübergehen rief er etwas in eine offen stehende Tür hinein.
»Komm herein, Barney«, sagte das Mädchen. Sie schob ihn sanft durch die Tür und schloss diese hinter sich. Barney sah sich in dem langen, leeren Flur um, sah die feuchten Stellen auf der verblassten Tapete und kam sich sehr klein und einsam vor. Aus dem Inneren des Hauses rief eine tiefe Stimme: »Withers, sind Sie das?«
Mr Withers, der dagestanden und Barney mit einem leichten Lächeln betrachtet hatte, fuhr zusammen und fuhr sich halb unbewusst mit der Hand an den Kragen. »Komm«, sagte er schroff. Er nahm Barney bei der Hand und führte ihn den Korridor entlang. Ihre Schritte hallten auf dem nackten Bretterboden. Am Ende des Flurs kamen sie an eine Tür.
Es war ein großes Zimmer, das nach dem blendenden Sonnenlicht draußen dunkel wirkte. Die Fenstertüren an der einen Wand reichten vom Fußboden bis zur Decke. Die langen, schäbigen Samtvorhänge waren halb zugezogen, und die Lichtstrahlen, die hindurchdrangen, fielen auf einen großen, breiten Schreibtisch in der Mitte des Raumes, der
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