Lichtjagd
versagende Biosphäre zu biopsieren und nach Möglichkeiten zu suchen, wie man ihr einen Anstoß zu einem stabilen Gleichgewicht geben konnte. Sehr oft kam diese Biopsie einer Autopsie gleich: das lästige kleine Problem, das man zurückstellte, wenn die Zeit knapp war, stellte sich als Beginn eines katastrophalen Zusammenbruchs heraus, der nur durch spezifische Eingriffe zu einem spezifischen Zeitpunkt hätte abgewendet werden können – gewöhnlich ein Moment, der ungenutzt verstrich, während man sich noch über eine seltsame kleine Anomalie im letzten Felddatensatz den Kopf zerbrach.
Diese nebulöse und frustrierende Übung in chaotischer Systemsteuerung war es, was die Terraformer als Krähenfangen bezeichneten. Und die Datenpunkte, die Arkady in den letzten Tagen eingetragen hatten, weckten in ihm die düstere Ahnung, dass das Krähenfangen in naher Zukunft seine Hauptbeschäftigung sein würde.
»Wofür dient dieser Satz noch mal?«, fragte Arkady, als Aurelia ihm die nächste Ampulle Blut abzapfte. Es war die sechste, wenn er richtig gezählt hatte; weit mehr als die Menge, die für die Routineuntersuchungen erforderlich war, an die er sein Leben lang gewöhnt war.
»Immundominanzanalyse.«
»Nur wegen ein bisschen Geschniefe?« So nannten die Kollegen die erkältungsartigen Symptome, die seit der Landung
die Runde machten; ein Versuch, ihre Verlegenheit durch Humor zu überspielen.
»Ja.« Aurelia runzelte die Stirn und konzentrierte sich intensiv auf die anstehende Aufgabe, so einfach sie auch war. Seit der Frühzeit der Raumfahrt war bekannt, dass Astronauten auf langfristigen Missionen reaktivierte Viren austauschten und manchmal sogar Kinderkrankheiten erlagen, gegen die sie eigentlich längst Immunität entwickelt hatten. »Aber wir sollten inzwischen längst eine reife Immunreaktion feststellen können. Ich will feststellen, ob jemand eine inadaptive Reaktion entwickelt hat und sie an uns andere weitergibt.«
Als er in Aurelias grimmiges Gesicht sah, spürte Arkady einen plötzlichen Stich von Mitleid für den Unglücklichen, der sich als Missetäter herausstellen würde.
»Wollen wir hoffen, dass es sich darauf beschränkt«, sagte sie halb zu sich selbst.
»Was könnte sonst dahinterstecken?«
»Keine Ahnung. Es gibt nicht viele Erfahrungswerte, was Multisyndikatsexpeditionen angeht. Und ich war nie dafür, dass Motais an der Expedition teilnehmen. Mir gefallen die neuen Modifikationen ihres Immunsystems nicht. Und ich traue Gendesignern nicht, die zweifelhafte Versprechungen machen, wie sich ungetestete Genmodifikationen in der realen Welt auswirken werden.«
»Bist du sicher, dass es etwas ist, das wir eingeschleppt haben?«, fragte Arkady, bevor er gründlich darüber nachgedacht hatte. »Ist dir nichts … wie soll ich sagen … nichts Merkwürdiges aufgefallen?«
Aurelia trug ihr Stethoskop und hatte ihn gebeten, sich für eine gründliche Untersuchung auf den Untersuchungstisch zu legen. Nachdem sie seine Vitalwerte ermittelt hatte, setzte sie das Stethoskop ab und sah ihn scharf an. »Was soll merkwürdig sein? Warum fragst du?«
»Nur so.«
»Na gut, du bist fertig. Runter vom Tisch. Du bist gesund wie ein Fisch im Wasser – was immer ein Fisch sein mag. Du und Arkasha. Das Hübscheste, was Motai je produziert hat, und sehr viel zäher als die Ahmeds, wenn man sich nicht nur die Muskeln anschaut. An euren Gensets hat man gute Arbeit geleistet. Klassisch, keine überflüssigen Schnörkel. Gefällt mir.«
Arkady stand auf und rollte seinen Ärmel herunter. »Was ist mit deiner Schwester? Kommt sie mit ihrer Arbeit gut voran?«
»Das musst du sie selber fragen. Ich war zu sehr mit der Virenjagd beschäftigt, sodass ich außer zum Arbeiten, Schlafen und Pinkeln zu nichts gekommen bin. Außerdem erholt sie sich gerade von diesem Scheißvirus. Über vierzig Grad Fieber. Unglaublich.«
»Soll das heißen, dass sie jetzt immun ist?«
»Ich habe keine Ahnung, ob es etwas bedeutet. Das Ganze ist mir zu hoch. Und im Gegensatz zu ein paar anderen Leuten hier bin ich nicht zu feige, um es zuzugeben. Ich werde Arkasha bitten, sich die Daten anzusehen, sobald er seine eigenen Feuer ausgetreten hat.«
»Wieso, hat er auch Probleme?«
»Du bist doch sein Bruder. Wieso fragst du mich das? Hör zu, Arkady, sei nicht böse, aber ich hoffe, du wirst deswegen nicht noch eine förmliche Befragung einberufen. Das Leben ist zu kurz, als dass ich noch mal eine Stunde im selben Raum mit diesem
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