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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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dass er seinen Drink
über den Boden verschüttete. »Das bin ich. Ein Wirbel im Gehirn einer perfekten Gesellschaft.«
     
    Die Arena maß vielleicht einen Meter im Durchmesser. Im Moment krabbelten auf der völlig weißen und glatten Oberfläche vielleicht fünfhundert Wanderameisen herum, flitzten in einem wirbelnden, leicht unregelmäßigen Kreis herum, der an die Satellitenaufnahme eines Orkans erinnerte. Für Arkadys geschulte Augen ähnelte er noch einem Dutzend anderer Beispiele für selbstorganisierte Strukturen in einem kritischen Grenzbereich: die zarten Spiralstrukturen, die so viele Blattpflanzen entwickelten, um die Sonneneinstrahlung zu maximieren und die Schatten zu minimieren; die komplizierten Wirbel im Fell von Pelzsäugetieren, wovon auf dem Kopf jedes Menschen und Neomenschen noch ein rudimentärer Rest verblieben ist; die komplizierten, ineinander verschlungenen Netzwerke, die von den Gemeinschaften von Menschen, Ameisen und Singvögeln gebildet werden.
    Aber natürlich gab es einen Unterschied: all diese Muster waren adaptiv, während des wilde, panische Im-Kreis-Laufen der Ameisen eine selbstmörderische Fehlfunktion war.
    »Unter ungewöhnlichen Umständen in der Natur (und ziemlich gewöhnlichen Umständen in einem Labor) können Wanderameisen dazu veranlasst werden, in einer engen, kreisrunden Kolonne zu laufen, einem myrmekologischen Karussell, in dem sie ›sich zu Tode marschieren‹.« Ein Zitat von Gotwald natürlich, der selbst Piels und Schnierla zitierte.
    Und der große Gotwald hatte auch festgestellt, dass der Durchmesser der Kolonne »die Summe des Vektors der zentrifugalen Impulse der individuellen Ameise, den Marsch fortzusetzen, und der zentripetalen Kraft der Trophallaxe, die sie an die Gruppe bindet …« darstellt; was in einer Gleichung ausgedrückt wurde, die Arkady immer in den Sinn kam, wenn er große Gruppen von Menschen sah, die alle denselben dummen Fehler im selben Moment machten.

    Die Trophallaxe – der Folgeinstinkt – war so stark, dass man Ameisen aus zwei verschiedenen Schwärmen in die Arena setzen konnte und sie friedlich zehn bis zwanzig Minuten hintereinander hertrotteten, bevor sie zur Besinnung kamen und zu einem letzten Kampf auf Leben und Tod die Kiefer kreuzten.
    »Man sollte meinen, dass irgendwann irgendwo eine von ihnen aussteigt und in die andere Richtung marschiert«, sagte Arkasha an seiner Seite.
    »Du darfst nicht vergessen, dass der Folgeinstinkt in der Umgebung, in der er sich entwickelt hat, völlig adaptiv ist.« Wie üblich hatte Arkady das eigenartige Bedürfnis, seine Ameisen zu verteidigen. »Wären diese Ameisen auf dem Waldboden statt im Labor, würden sie so lang im Kreis laufen, bis sie die Spur ihres Schwarms gefunden haben, und ihr zurück zur Hauptkolonne folgen. Und selbst wenn die Duftspur verblasst wäre, zum Beispiel von einer Überschwemmung weggespült, würden sie auf Stöcke, Steine und Blätter stoßen und jedes Mal ein bisschen vom Weg abgelenkt werden, bis sie früher oder später zum Rest des Schwarms zurückgefunden haben. Nur hier, wo kein externes Rauschen dem Kreisinstinkt entgegenwirkt, wird er maladaptiv. Die Ameisen und ihre Umwelt sind ein integriertes System, so wie das Gehirn und seine Umgebung. Nimmt man die Umgebung weg, bleibt nur die Hälfte des Systems übrig. Genauso gut könnte man die Hälfte der Kabel aus einem Computer herausreißen und sich dann beschweren, dass er nicht mehr funktioniert.«
    »Ich find’s irgendwie schrecklich, wenn du es so formulierst«, sagte Arkasha. »Wirklich … warum tust du das diesen armen Ameisen an?«
    »Ich werde es nicht bis zum Ende durchziehen«, gestand Arkady. »Ich wollte die Kreisbewegung nur einmal mit eigenen Augen sehen. Ich werde sie wieder in ihr Nest saugen, bevor sie zu müde werden. Um die Wahrheit zu sagen: Ich könnte mit Ameisen niemals gemeine Experimente anstellen.
Ich kann den Anblick ihrer kleinen Gesichter, wenn sie Angst haben, nicht ertragen.«
    »Ihrer kleinen Gesichter? « Arkasha klang amüsiert. »Haben Ameisen überhaupt Gesichter?«
    »Klar. Nun ja, sie haben ihre Kiefer. Und wenn sie in Panik geraten, zucken ihre Fühler auf eine Weise herum, die mir wirklich zu Herzen …«
    In diesem Moment steckte Ranjipur den Kopf ins Labor. Er hatte leider keine Fühler, dennoch war ihm seine Panik deutlich anzusehen. »Habt ihr beide Aurelia gesehen?«, fragte er. »Oh, Arkasha. Gott sei dank. Wir brauchen dich. Bella hat eine Art Rückfall

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