Lichtjagd
Friedenstruppen die Stadt nicht besetzt hätten. Die Einzigen, die als Friedensschützer noch schlimmer sind als die Friedenstruppen, sind die elenden Amerikaner.«
»Nun ja, immerhin sind die Amerikaner so klug, dass sie mit ihren Siegen und nicht mit ihren Selbstmordmissionen angeben.«
»Die Legion hat ihre Mission in Camerone beendet«, protestierte Li.
»Und erlaubte damit der französischen Armee, im Namen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weiterzukämpfen, um einen Marionetten-Erbkönig einzusetzen und die Mexikaner vor den trüben Aussichten zu retten, die ihre eigene Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mit sich gebracht hätten. Entschuldige, aber mir kommt’s schon hoch, wenn ich nur daran denke.«
»Ignoriere bitte die Bemerkungen dieses Kaviar-Kommunisten«, sagte Li zu Arkady. »Das Entscheidende ist, dass die
Legion bis zum Ende durchgehalten hat und kämpfend untergegangen ist.«
»Das Entscheidende ist, Arkady, dass unsere Catherine hier eine kleine Schwäche für sinnlose Selbstmordmissionen hat.«
Die Soldaten ringsum waren inzwischen wieder auf den Beinen und sahen zu den Endern im nächsten Einschusskrater hinüber, die ihre Ausrüstung einsammelten und Wasserflaschen und nicht standardmäßige Schokoriegel verstauten.
»Wenn ihr beide euch jetzt genug gefetzt habt«, unterbrach Osnat, »würde es euch etwas ausmachen, wenn wir unseren Krempel zusammenpacken und aus dieser Scheißgrube kriechen, bevor unsere Freunde uns abgehängt haben?«
Von da an wurde alles etwas verschwommen.
Hinterher erinnerte sich Arkady noch daran, dass er an unzähligen Rollen unzerstörbaren, veralteten Glasfaserkabels vorbeigegangen war, die die halbe judäische Wüste bedeckten. Er erinnerte sich an ein ganzes Feld voller Schulbusse, die mit den Stoßstangen aneinanderstanden, die Türen weit aufgerissen, als warteten sie immer noch darauf, eine Generation von Schulkindern zu transportieren, die nie zum Unterricht angetreten waren. Er erinnerte sich, dass er ein Dorf durchquert hatte, dessen Einwohner sich in den dunklen Türen ihrer armseligen Hütten versammelten, um die Ender vorbeistapfen zu sehen, Menschen mit feindseligen Gesichtern, die Juden oder Palästinenser oder irgendetwas dazwischen sein mochten.
Sie verbrachten den Großteil der Nacht in einem weiteren nassen Krater.
»Kennst du dich mit Kannibalismus aus?«, fragte Li ihn irgendwann, lang nach Einbruch der Dunkelheit.
Sogar sie hatte sich inzwischen hingelegt, obwohl sie eine weitere ihrer endlosen Folge von Zigaretten rauchte. Wie sie es fertig brachte, im Liegen zu rauchen, ohne unter einem
Berg von Zigarettenasche begraben zu werden, war Arkady ein Rätsel.
»Äh … nein.«
»Irgendein heller Kopf hat eine statistische Studie über Weltraumhavarien erstellt. Du weißt schon, das klassische Szenario: zwanzig Leute in einer Rettungskapsel, Nahrung und Luft für dreißig Tage, allerdings dauert es neunzig, um ein SOS an das nächste BE-Relais zu senden und eine Antwort zu erhalten. Wer frisst jetzt und wer wird gefressen? Wie sich herausgestellt hat, kann man ziemlich zuverlässig voraussagen, wer essen und wer gegessen wird. Selbst wenn sie Strohhalme ziehen, ob du’s glaubst oder nicht. Körperlich kräftige männliche Menschen kommen zuletzt. Sie fangen gewöhnlich erst damit an, sich gegenseitig aufzuessen, wenn ihnen nichts mehr anderes übrig bleibt. Bevor es so weit ist, vertilgen sie menschliche Frauen und Kinder. Und bevor sie sich den minderwertigen Menschen zuwenden, essen sie die Neomenschen. Und bevor es dazu kommt, essen sie die Konstrukte. «
»Das ist ja widerlich.«
»Sei kein Zyniker, Arkady. Früher war es einmal so, dass man erst einmal alle Schwarzen und Asiaten verspeist hat, bevor die erste weiße Frau gekocht wurde. Jetzt heißt es Ladies first , unabhängig von solchen Nebensächlichkeiten wie der Hautfarbe. So etwas nennen wir in der UN Fortschritt, Arkady. Wie auch immer, eine interessante Frage bleibt noch: Der Kerl, der die Studie erstellte, ist nur von einer Art Konstrukt ausgegangen. Er hat die Syndikate nicht in Betracht gezogen. Daher meine Frage, Arkady: Was meinst du, wenn der Proviant ausginge, wen von uns würden diese Spinner zuerst aufessen?«
Am Morgen erreichte der Trupp das Ufer des Flusses, der hinter dem Soldatenfriedhof am Hang des Berges Herzl entlangströmte.
Sie waren ins tote Herz der Grünen Grenze vorgestoßen, ein Niemandsland, das keine Armee verteidigen
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