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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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– und sein rechtes Bein unterhalb des Knies nicht aus Fleisch und Knochen, sondern aus einer zarten Konstruktion aus Keramstahl und silbrigen neuromuskulären Fäden bestand.
    Mann und Hund spazierten ohne Eile den Hügel herunter, bis sie schließlich das Tor erreichten. Der Mann sah zwischen den Gitterstäben hindurch, machte aber keine Anstalten, das Vorhängeschloss zu öffnen. Er war kleiner, als Arkady erwartet hatte; überhaupt kein großer Mann, aber so gerade und straff gewachsen, dass er groß wirkte, solang man nicht direkt neben ihm stand. Sein Gesichtsausdruck war ruhig, leicht interessiert und völlig unverbindlich. Er hatte eines dieser braunhäutigen, großnasigen, feingeschnittenen Gesichter, die unter den Palästinensern ebenso häufig waren wie unter den sephardischen Juden. Das einzig Bemerkenswerte an ihm, fand Arkady, waren seine schwarzen Augen. Und dieses Schwarz war so tief wie die Dunkelheit zwischen den Sternen.

    Der Hund steckte seine spitze Nase durch das Tor und knurrte ängstlich. Der Mann tätschelte ihn beruhigend. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.
    »Ich bin’s«, sagte Cohen. »Cohen. Hast du meine Nachricht nicht bekommen?«
    »Tut mir leid. Ich habe in letzter Zeit nicht mehr oft nach der Post gesehen.«
    »Nun, dann bekommst du von mir die Kurzfassung: Wir sind da.«
    »Das sehe ich.« Die abgründigen Augen sahen Cohen, dann Osnat, schließlich Li und Arkady an, und richteten sich für einen nachdenklichen Augenblick wieder auf Osnat. »Hallo, Osnat.«
    Osnat nickte knapp.
    »Lässt du uns reinkommen?«, fragte Cohen.
    »Die Sache ist die … Im Moment weiß ich nicht genau, wo der Schlüssel ist.«
    »Du hast ihn verloren?«
    »Ich verliere nie etwas.« Ein selbstironisches Lächeln erhellte das schmale Gesicht und verlieh den dunklen Augen mehr Wärme. Arkady hatte das Gefühl, dass andere für diesen Mann ihr Leben geben würde. »Ich lege etwas weg. Dann lege ich etwas darüber. Ich dachte mir, wenn mir wieder einfällt, was ich auf den Schlüssel gelegt habe, würde es schon früh genug sein, um das Tor wieder zu öffnen. Aber jetzt steht ihr an meiner Schwelle und werft mir vor, dass ich Dinge verliere! Ich frage euch, gibt es auf der Welt denn keine Gerechtigkeit mehr?«
    Er zog etwas aus der Tasche, das wie eine kleine Nagelfeile aussah, und beugte sich über das schwere Vorhängeschloss, mit dem das Tor versperrt war. Binnen weniger Sekunden öffnete sich das Schloss, und die Kette fiel rasselnd zu Boden. Das Tor ging auf und blieb irgendwo stecken. Sie mussten sich einer nach dem anderen durch den schmalen Spalt zwängen und darauf achten, dass sie nicht an den verzierten
Eisendornen hängenblieben, die von den Gitterstäben abstanden.
    »Ich nehme an, dass der Schlüssel schon seit einiger Zeit unauffindbar ist?«, fragte Cohen, als er sich durchzwängte.
    Der Mann lächelte wieder, und Arkady kam endlich darauf, was an diesem Gesichtsausdruck so bezaubernd war. Es war das Lächeln eines Kindes, offen und verletzbar. Oder eher: das Lächeln eines Erwachsenen, der sich irgendwie etwas Kindliches bewahrt hatte. Man hatte das Gefühl, dass man einen Menschen ansah, der von der Welt verwundet, aber nicht erniedrigt worden war.
    Die Hündin schnüffelte inzwischen an ihren Knien und Knöcheln, winselte leise, sah zu ihrem Herrn zurück und stellte sich zwischen ihn und die noch unbekannten Neuankömmlinge. Er beruhigte sie mit einem gemurmelten Wort. Sie verlor ihre Angst und wedelte hoffnungsvoll mit dem buschigen Schwanz.
    »Was für ein hübsches Mädchen!«, rief Cohen und ging in die Knie, um sich von ihr das Gesicht ablecken zu lassen.
    Es war wirklich ein hübsches Tier. Arkady wusste theoretisch, dass sie der Durchschnittsgröße eines Hundes entsprach, aber sie war so viel größer als die winzigen, verhätschelten und verwöhnten Hundetiere, die er in den Syndikaten gesehen hatte, dass man sie kaum als Angehörige derselben Spezies betrachten konnte. Und ein Schmusetier war dies nicht, vermutete er. Er wusste nicht, für welche Aufgabe sie gezüchtet worden war, aber selbst der beiläufigste Betrachter konnte ihren edlen, kräftigen, straffen und zweckmäßigen Wuchs nicht übersehen.
    »Was für eine Rasse ist das?«, fragte Cohen. Er klopfte ihr gerade kräftig auf die Rippen, was sie in freudige Erregung zu versetzen schien. »Für einen reinrassigen Border-Collie ist sie zu groß.«
    »Ich glaube, die Rasse hat keinen Namen. Die Hirten an der Grünen

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