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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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nicht mehr wusste. Sie waren von einer den Friedenssoldaten tief eingebetteten Sicherungsroutine in dem Moment geändert worden, als ihre Implantate ihre Entführung registrierten. Sie hatte Gerüchte gehört, dass die Friedenstruppen solche Mechanismen in die Psychoware ihrer Soldaten eingebaut hatten, aber bis jetzt hatte sie nicht recht daran geglaubt. Leider schienen ihre Wächter es auch nicht zu glauben.
    Und die ganze Zeit drangen sie in sie wegen eines Treffens mit Turner, an das sie sich nicht erinnern konnte – so wie sie sich auch nicht daran erinnern konnte, wie sie hierher gekommen war. Li, die Gedächtnisverluste kultiviert hatte wie niemand sonst, spürte die Lücke auf einmal so deutlich wie einen ausgefallenen Zahn. Und sie konnte mehr oder weniger einkreisen, was fehlte. Was gar nicht nötig gewesen wäre, denn ihre Wächter befragten sie genauso hartnäckig danach wie nach ihren Passwörtern und Sicherheitsprogrammen.
    Wo war sie gewesen, bevor sie sich mit Turner getroffen hatte?
    Mit wem hatte sie vor ihrem Treffen mit Turner gesprochen?
    Wer wusste davon, dass sie sich mit Turner getroffen hatte?
    Wohin waren die Frau und der Klon verschwunden, nachdem sie Turner ihren Aufenthaltsort verraten hatte?
    Es hatte keinen Sinn. Sie erinnerte sich an einen Anruf von Osnat und Arkady. Dann an nichts mehr. Und je mehr sie über Turner wissen wollten, Turner und immer wieder Turner, umso schwerer fiel es ihr zu glauben, dass sie sich überhaupt je zu einem Treffen mit ihm bereit erklärt hatte.

    Sie konnte nicht sagen, wann ihr allmählich klar wurde, dass an den Verhörsitzungen noch andere Personen teilnahmen. Die Zuschauer waren leise und unsichtbar – zumindest für Li, deren ganzes Universum sich auf ein paar Zentimeter Stoff vor den Augen zusammengezogen hatte. Aber sie übten eine Art Gezeitensog auf die Befrager aus, so deutlich wie ein verfinsterter Planet an seinen Nachbarn zerrte. Lis Folterer spielten dem Publikum etwas vor, so wie die Bergleute in Lis fast vergessener Kindheit, die das Arbeitstempo an der Schnittkante beschleunigten, wenn ein Vorarbeiter vorbeischaute.
     
    Es war der Zuschauer, der sie veranlasste, sich Lis Händen zuzuwenden.
    Sie brauchten gar nicht viel zu tun. Keramstahlfäden sind scharf wie ein Chirurgenskalpell und viel härter. Wenn ein Faden riss und seine losen Enden ungehindert durch verletzliches Fleisch und Knochen schnitten, betete man besser, zu welchem Gott auch immer, dass ein Chirurgenteam in Reichweite war. Und kein Körperteil, von der relativ geschützten Wirbelsäule abgesehen, war so mit moleküldünnen, viral eingebetteten Keramstahlfäden durchdrungen wie ihre Hände. Als man ihre Hände festschnallte, wusste sie deshalb sofort, was ihr bevorstand. Die einzige Frage war nur, wie weit es der unsichtbare Zuschauer gehen lassen würde.
    Die Antwort: ziemlich weit.
    Weit genug, dass sie froh war, die Augen verbunden zu haben und nicht sehen zu können, was am anderen Ende ihrer Arme geschah.
    Weit genug, um die Erinnerung hervorzuholen, die irgendwie auf intimste und unlösliche Weise mit dem assoziiert worden war, was man ihr hier antat.
    Weit genug, um sie in Gedanken zurück nach Gilead zu versetzen.

     
    Die ganze Operation auf Gilead war ein völliges Fiasko. Jenseits von Gut und Böse, ganz gleich, in welchem räumlichen Maßstab und auf welcher hierarchischen Komplexitätsebene man es betrachtete.
    Die PR-Experten des UNSR hatten sie zu einer regelrechten Orgie des Heldentums hochstilisiert, und die Kriegsberichterstatter hatten ihre Propaganda voll und ganz geschluckt. Aber Lis Meinung nach unterschied sich Gilead kaum von all den anderen geschönten Heldenepisoden, wie sie in jedem Krieg vorkamen, von dem sie bisher gelesen hatte: ein blutiges Gemetzel, das völlig unnötig gewesen wäre, wenn die Schreibtischstrategen ihre Arbeit vernünftig gemacht hätten.
    Die meisten Kollegen Lis hatten es anders gesehen – oder taten zumindest so. Sie hatten die toten Helden von Gilead schon zu feiern begonnen, als noch nicht einmal die Leichen geborgen waren. Und falls hinter geschlossenen Türen über abgeschnittene Nachschublinien, permanente Ausfälle der Kommunikationsanlagen und den Beschuss eigener Truppen aus dem Orbit geflüstert wurde, hatte das allenfalls zur Folge, dass man öffentlich noch lauter feierte und noch inflationärer Orden verlieh.
    Manöverkritik, nachdem sich schon alles erledigt hatte, war schlecht für die Moral. So lautete

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