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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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streichelte sie, bis sie sich aufgeplustert hinhockte und wohlig die Augen schloss. Dann packte er sie mit festen, kundigen Händen und zog ihr die Klinge so schnell und glatt durch die Kehle, dass Arkady erst begriff, was geschah, als das Blut in die Schale strömte, die Gavi mit seinem gesunden Fuß zurechtgerückt hatte.
    »Machen Sie das, damit das Fleisch koscher ist?«, fragte er, als er seine Stimme wiedergefunden hatte.
    »Nein.« Gavi drehte den schlaffen Körper der Henne in den Händen und begann ihr mit geübten, ruckartigen Handbewegungen die Federn auszureißen. »Es ist für Dibbuk.«
    »Sie halten sie also nicht koscher?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich glaube, wenn Gott existiert, gibt es eine lange Liste von Dingen, die ihm mehr Sorgen machen müssten als der Inhalt meiner Eingeweide. Worüber wollen Sie mit mir reden, Arkady?«
    »Ich … ich wollte mich entschuldigen.«
    »Wofür?«
    »Nun ja … für alles. Ich habe geglaubt, dass ich das Richtige tue. Ich wusste nicht, dass Korchow mich in eine Waffe verwandelt hat. Ich wünschte, ich könnte Sie davon überzeugen. «
    »Ich sehe Ihre guten Absichten. Wir sind in einer komplizierten Situation. Sie schulden mir gar nichts.«
    Gavi rupfte immer noch das Huhn, deshalb hatte Arkady keine Möglichkeit, ihm in die dunklen Augen zu sehen. Beim Klang seiner Stimme aber lief es ihm kalt den Rücken hinunter, so kühl, glatt und höflich distanziert klang sie. Die Stimme eines Mannes, der den Zorn durchgestanden und überwunden hatte. Arkady konnte sich vorstellen, dass er in Zukunft viel auf sich nehmen würde, um diese Stimme nicht noch einmal hören zu müssen.

    »Ich habe nie absichtlich etwas vor Ihnen verborgen. Erst nach unserem Gespräch habe ich verstanden, was Korchow mit mir gemacht hat. Und dann, als Safik … nun ja …«
    »Safik könnte sogar einem Stein Geheimnisse entlocken. Ich hätte ein größerer Dummkopf sein müssen, als ich bin, um zu glauben, dass Sie ihm nicht alles sagen würden.«
    Arkady sah ihn zweifelnd an. »Sie sind also nicht wütend? «
    »Wenn ich wütend wäre, müsste das nicht unbedingt bedeuten, dass ich damit gerechnet habe, Sie würden bei Safik den Mund halten. Oder dass ich das Gefühl hatte, Sie seien mir etwas schuldig. Warum sollte ich das eine oder das andere denken?« Gavi stand auf, und das Huhn hing schlaff und nackt in seiner Hand. »Wut ist etwas Dummes, Arkady. Wer wütend ist, fühlt sich kurzfristig zwar besser, aber auf lange Sicht kann er nicht mehr klar denken. Und welchen Nutzen könnte es für irgendwen haben, wenn wir uns dazu verführen lassen, nicht mehr klar zu denken?«
    »Keinen, würde ich sagen.«
    »Ich bin froh, dass Sie meiner Meinung sind. Lassen Sie uns zu Abend essen.«
     
    »Und wieso ist Gavi nicht krank geworden?«, war das Erste, was Osnat wissen wollte, als sie wieder unter den Lebenden war.
    »Wie meinst du das?«, fragte Gavi und sah sie scharf an. »Ist sonst noch jemand krank geworden?«
    »Mosche. Glaube ich jedenfalls. In der ersten Woche. Aber den Gedanken hatte ich erst, nachdem ich soundso oft darüber nachgedacht habe. Zu der Zeit dachte ich, es seien bloß Allergien. Wie bei den Wachleuten.« Sie runzelte die Stirn. »Ash Sofaer ist übrigens auch nicht krank geworden. «
    Gavi sah auf seinen Teller. »Vielleicht fehlt Ash und mir das, was das Virus in Angriff nimmt.«

    Osnat starrte ihn an. Ein angespanntes Schweigen kroch über den Tisch und bis in die Ecken des Zimmers.
    »Was soll das denn heißen?«, fragte Osnat.
    »Nun … Ash hat einen Sohn. Ich auch.«
    »Du hast was? «, fragte Osnat. »Wo ist er?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Osnat saß starr in ihrem Stuhl. Sie schaute auf ihren Teller, ihre Tasse, die Wand hinter Gavis Kopf. Auf alles, nur nicht auf Gavi.
    »Du hast ein natürliches Kind?«, sagte sie schließlich in einem vorwurfsvollen Flüsterton. »Und du hast ihn … fallen lassen? «
    »Ich mag dich, Osnat«, sagte Gavi mit seiner weichesten, neutralsten Stimme, »aber du neigst dazu, Urteile über andere zu fällen. Und du hast offenbar seltsame Vorstellungen, wie Menschen sich dir gegenüber rechtfertigen müssen, selbst wenn es dich überhaupt nichts angeht. Das kann abstoßend wirken.«
    »Es ist sehr viel abstoßender, wenn jemand wie du durchs Leben geht und meint, dass er das Recht hat, gegen alle Regeln zu verstoßen, ohne jemandem etwas zu erklären!«
    Arkady sah zwischen den beiden hin und her, spürte die emotionale

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