Lichtjagd
blasser Assoziationen wirbelte durch den Phasenraum, in dem er die neuronalen Erregungsmuster ihrer Großhirnrinde »sah«. Sie zeichneten eine Reihe chaotischer Attraktorflügel nach, die das kontinuierliche Abspeichern und Umarrangieren der Erinnerungen codierte, das Menschen und KIs als Bewusstsein bezeichneten. Wie gut, dass sie eine echte Soldatin geworden war und kein Zombie … ganz gleich, wie schlimm es ausgegangen war. Erinnerungen an die vielen Male, als sie sich nach einem Sprung zum nächsten Einsatz aus dem Kälteschlaf gekämpft hatte und sich fragte, was sie diesmal vergessen hatte, und ob sie den Verlust einer zufälligen Dekohärenz von Spins oder der Gedächtnispolitur durch den UN-Sicherheitsrat verdankte. Die Angst, dass Erinnerungen, die ihrem Bewusstsein nicht mehr zugänglich waren, dennoch ihre Gefühle verzerrten. Eine Erinnerung, die ihre rohe emotionale Kraft trotz tief greifender Gedächtnispolitur durch die UN-Sicherheit bewahrt hatte: Sie stand unter dem tiefblauen Himmel von Gilead und sah zu, wie Andrej Korchow in einer dampfenden Pfütze aus Blut und Kaffee ausblutete. Und das alles war durchdrungen – tief eingeprägt in die älteren Erinnerungen, sodass es immer damit assoziiert bleiben würde – von einer kalten Panik bei dem Gedanken an Enderbots, die sich der Bewusstseinsfähigkeit entgegenkämpften, nur um von der kalten Hand an der Tastatur wieder zurückgeworfen zu werden.
»Es ist mir auch zuwider«, sagte er und wusste, dass sie all die chaotischen und widersprüchlichen Gefühle hinter den Worten verstehen würde. »Aber was kann ich tun?«
Li beugte sich vor und legte leicht ihre Hand auf seine.
Über die Verbindung zwischen ihnen konnte er »sehen«, dass sie Rolands Hände betrachtete, die Haut um seine Augen, seine Mundwinkel – die vielen verräterischen Details, die sie benutzte, um Cohens Gefühle hinter dem Schleier des Leibes einer anderen Person zu erraten. Im Laufe der Jahre hatte sich ihre Beziehung zu Rolands Körper auf eine gelassene Zuneigung eingependelt, die sie halb bewusst mit ihren wenigen bruchstückhaften Erinnerungen an die Ehe ihrer eigenen Eltern assoziierte. Genau das fühlte sie in diesem Moment, als sie die Arme um ihn legte.
»Ich liebe dich«, sagte sie und meinte es auch so.
Ein menschlicher Geliebter wäre glücklich gewesen.
Aber Cohen war kein Mensch. Und innerlich spürte er, dass sie ihn losließ, obwohl sie ihn festhielt; dass sie davontrieb, nicht zornig oder verstimmt, sondern von einer Art dumpfer Resignation erfüllt.
Sie liebte ihn mehr, als sie je geglaubt hatte, jemanden lieben zu können. Aber sie würde ihn dennoch verlassen. Und wenn er etwas tun konnte, um sie aufzuhalten, wusste sie selbst nicht mehr, was es war, denn sie erinnerte sich nicht einmal, warum sie ging.
D ie zurückgelassene Bombe explodierte um acht Uhr morgens am Ostersonntag 2049.
»Die Demokratie der Bombe, im Stil des 21. Jahrhunderts«, sagte Osnat zu Arkady, als ihr Hubschrauber über die Grenze flog, hoch genug, dass kein Ortsansässiger auf die Idee kommen konnte, Nahschüsse auf sie abzufeuern. »Irgendein
Irrer aus Hoboken war der Meinung, dass die Entrückung zu sehr auf sich warten lässt und er dem Armageddon etwas auf die Sprünge helfen sollte. Die Säuberungsaktion ist nach der ersten Phase, in der Altstadt und am Tempelberg, ins Stocken gekommen. Die UN jammert jetzt dauernd über die Finanzierung und bittet um neue Berichte über die Umweltfolgen. Und in der Zwischenzeit bieten sie jedem, der emigrieren will, vom Staat subventionierte Tank-Babies an.«
»Aber warum sollte die UN jemandem zur Emigration bewegen wollen?«, fragte Arkady, verwirrt über die Vielzahl neuer Begriffe.
Osnat sah ihn an, als habe er etwas fast erheiternd Dummes gesagt. »Wasser«, sagte sie, als sei damit seine Frage vollständig beantwortet.
Arkady nickte, weniger um anzudeuten, dass er verstanden hatte – er verstand fast nichts von dem, was Osnat über die Lippen kam –, als in der Hoffnung, dass ein Nicken ihr weitere Informationen entlocken konnte, die das Vorhergehende verständlicher machen würden.
Es gelang nicht, aber allmählich gewöhnte er sich daran, dass er aus dem Grübeln nicht mehr herauskam.
Das Attentat mit einer zurückgelassenen Bombe war der letzte giftige Schuss gewesen, der im Krieg gegen den Terror abgefeuert wurde. Ein zorniger junger Mann hatte eine genetische Waffe gestohlen, die zu dem Zweck entwickelt
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